1 Prinz Heinrich in Amerika 1902
1.1 Die kinematographischen Vorführungen
1.2 Die Reise
1.3 Der Markt der kinematographischen Bilder
2 Kaiser Wilhelm II in Palästina 1898

    "[...] Zum Schlusse bringt uns noch der Kosmograph
    Bilder der Kaiserreise,
    Womit wohl Herr Waldmann das Richtige traf,
    Auch ich erklär es für weise.

    Die Güter dieser schönen Welt
    Sind ungleichmässig vertheilet,
    So das durch Mangel an schnödem Geld,
    Wohl mancher im Norden verweilet.
    Der hätte lieber die Reise gemacht,
    Die Wilhelm der Zweite vollführet,

    Das hat Herr Waldmann sich wohl bedacht,
    Und deshalb ihm Dank gebühret
    Da sitzt im Paquet man gemütlich, bequem.

    Lässt an sich vorübergleiten,
    Jerusalem, Beirut und Bethlehem,
    Wo auf Kameelen sie reiten.
    Viel Tausende kostet die Reise nach dort.

    Dann kriegt man vielleicht noch das Fieber
    Im Apollotheater zahlt man auf mein Wort,
    Nur 1-5 Mark, nie darüber."

Nicht ohne Ironie beschrieb das Gedicht in der 'Berliner Damen-Zeitung' die kinematographischen Vorführungen der Reise Kaiser Wilhelms II. nach Palästina. Die Anspielungen auf die Kosten der Reise und den billigen und gelungenen Ersatz für die zu Hause Gebliebenen bei den Vorführungen im Varieté Apollo betonten dabei den touristischen Aspekt und den Schauwert der Reise Wilhelms II, seiner Gemahlin und seines zahlreichen Gefolges in das 'Heilige Land'.

Die wöchentlich erscheinende 'Berliner Damen-Zeitung' pflegte in ihrer Berichterstattung häufig die Gedichtform, um ihre Leserinnen und Leser über die Programme von Theatern und Varietés zu informieren. Unter den, im Laufe meines Untersuchungszeitraums wechselnden, Rubriken 'Die Theaterwoche: Aus den Spezialitätentheatern', 'Theater- und Musikrevue', 'Theater, Kunst, Wissenschaft', fanden die Programme der führenden hauptstädtischen Varietés wie des 'Apollo', des 'Wintergarten' und auch des Passagetheaters, - das durch die Modernisierung um die Jahrhundertwende zu den beiden führenden Varietés der Reichshauptstadt aufgeschlossen hatte - Erwähnung.

Die Programme vor allem des Apollo - und mit ihnen die meist am Ende der Aufführungen gezeigten kinematographischen Bilder - wurden oftmals in Gedichtform besprochen.

Mit der Konzentration auf die führenden 'Spezialitätentheater' der Reichshauptstadt rückte die 'Berliner Damen-Zeitung' dabei diese großstädtischen Vergnügungsorte in die Nähe der anderen hauptstädtischen Theater. Sie markierte damit den etablierten Stand der großen Varietés im Unterhaltungsangebot Berlins um 1900. Dies war kein auf die 'Berliner Damen-Zeitung' beschränktes Vorgehen. Auch andere Publikationen der Jahrhundertwende betonten den gleichberechtigten Rang der großen Varietés im Angebot der staatlichen und privaten Theater der reichsdeutschen Metropole. Die 'Damen-Zeitung' druckte zudem einen Theaterspielplan ab, der auch in einigen Berliner Tageszeitungen angezeigt wurde - und der - zugegebender Maßen am Schluß - das Programm des 'Apollo' und des 'Wintergarten' verzeichnete. Die Gleichsetzung der unterschiedlichen großstädtischen Unterhaltungsangebote in den kleinformatigen Textanzeigen auf den Annoncenseiten der von mir gesichteten Tagespresse habe ich bereits erwähnt.

Im Gegensatz dazu konzentrierte sich die 'Berliner Damen-Zeitung' - die in ihren Annoncenseiten keine Anzeigen der Theater etc. aufwies - auf die freiere und wertendere Darstellung des Gesehenen in ausführlicherer Textform und bietet eine aufschlußreiche Quelle für eine Form der gesellschaftlich-kulturellen Aneignung der Varietékinematographie um die Jahrhundertwende.

Anders als in der von mir gesichteten Tagespresse gab es in dem - ohne großen Aufwand gestalteten - Unterhaltungsblatt für die hauptsächlich adeligen und bürgerlichen Leserinnen auch einmal negative Kritiken über die Programme der Varietés und auch der kinematographischen Vorführungen . Das in einer Auflage von 5.000 Exemplaren vertriebene Blatt druckte nie die standardisierten Programmitteilungen die beispielsweise für den 'Berliner Lokal-Anzeiger' oder auch das 'Kleine Journal' auf ihren redaktionellen Reklameseiten charakteristisch waren.

Die 'Berliner Damen-Zeitung', die in ihrem Untertitel neben Literatur, Kunst, Theater, Mode auch Weltstädtisches verzeichnete - und damit die Vergnügungsorte der kommerzialisierten Unterhaltungskultur als einen ihrer publizistischen Schwerpunkte auswies - lieferte der weiblichen Leserschaft der Reichshauptstadt eine für die Kinematographie der Anfangsjahre bislang nicht beachtete Kontextualisierung in einer Kombination von 'schönen Künsten', Mode und großstädtischer Vergnügungskultur.

Zusammen mit den regelmässigen Berichten aus der Berliner Gesellschaft ("Was man sich in Berlin erzählt"), den obligatorischen Fortsetzungsromanen, kleineren Rubriken wie 'Frauenleben und -streben', die über die Aktivitäten der bürgerlichen Frauenbewegung berichteten und u.a an dieser Stelle auch neue sogenannte Frauenberufe und Ausbildungsmöglichkeiten vorstellten, sowie der Rezeptrubrik 'Aus Küche und Keller', gehörten die oben bereits vorgestellten Rubriken über die Berliner Theater- und Spezialitätenbühnen zum ständigen Repertoire dieser Zeitschrift. Das 20-seitige Blatt schloß mit einem Gewinnspiel und einer Rätselecke, einer Leserinnenbriefecke und 6 Seiten Annoncen der Anbieter diverser Schönheitsprodukte und unterschiedlichster Haushaltswaren ab.

Zu den Berichten aus den Spezialitätentheatern gehörte die regelmässige Erwähnung der kinematographischen Bilder im Kontext der besprochenen Varietéprogramme. Hier gab es summarische Erwähnungen der Bilder des Biographen im Wintergarten oder des (Meßterschen) Kosmographen im Apollo , die den standardisierten Erwähnungen in der Berliner Tagespresse ähnelten. Darüberhinaus boten aber die Programmbesprechungen in der 'Berliner Damen-Zeitung' insgesamt ausführlichere Hinweise auf die kinematographischen Vorführungen in den großen hauptstädtischen Varietés.

Die Textbeiträge gingen dabei genauer auf die Auswahl der von ihnen erwähnten kinematographischen Vorführungen ein und profitierten offensichtlich von der Anwesenheit ihres Berichterstatters bei den Varietévorführungen. Der kinematographischen Darstellung aktueller Begebenheiten wurde auch in der 'Berliner Damen-Zeitung' ein wichtiger Platz eingeräumt. Darüberhinaus wurde aber auch dem eigentlichen Filmprogramm innerhalb der Varietépräsentationen Raum gegeben und die Berichterstatter machten auf ihre Selektion der präsentierten Filme und die Publikumsreaktionen aufmerksam.

Die Darstellung der Varietékinematographie in der 'Berliner Damen-Zeitung' machte aber auch das Schicksal deutlich, daß der Kinematographie als Schlußnummer des Varietéprogramms beschieden war.

Nicht selten verließ der Berichterstatter das Varieté, ohne die filmische Schlußnummer gesehen zu haben und um sich beispielsweise anschließend den anderen zahlreichen Vergnügungen in der Reichshauptstadt hinzugeben oder aber sein Gedicht für die 'Berliner Damen-Zeitung' zu verfassen.

Der kinematographischen Darstellung der Reise Kaiser Wilhelm II. nach Palästina im Jahr 1898 widmete die 'Berliner Damen-Zeitung' ihr ausführlichstes Gedicht in dem von mir analysiertem Zeitraum. Sie stimmte damit zunächst ein in die immense zeitgenössische negative wie positive Resonanz, die die Palästinafahrt des deutschen Herrschers unter den Zeitgenossen ausgelöst hatte.

Die 'Damen-Zeitung' betonte bei der Beschreibung der kosmographischen Vorführungen einzelner Besuchsstationen des Kaisers allerdings den touristischen Charakter der Reise und vermied jegliche Anbindung an den "komplexen religiös-politischen Charakter der deutschen Beziehungen zu Palästina in allen seinen außen-, innen-, konfessions- und religionspolitischen Verästelungen" , die die Kaiserreise in das 'Heilige Land' spiegelten.

Die kaum auflösbaren Verflechtungen von kirchlich-missionarischer und imperialistischer Aktivität aller europäischen Großmächte bezüglich Palästina um 1900 reichten bis in die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurück, als Romantik und Erweckungsbewegung das Interesse für das 'Heilige Land' und die Pilgerfahrten dorthin neu belebt hatten.

Die sogenannte Öffnung Palästinas in den 1830er Jahren hatte zudem die Voraussetzungen für den religiös-kulturellen und konsularischen Einfluß der europäischen Mächte geschaffen. England, Rußland und Frankreich verbanden dabei religiöse Interessen mit den politischen Zielsetzungen der jeweiligen Regierungen, die als Schutzmächte religiöser Minderheiten in der Levante auftraten: Frankreich als Schutzmacht der Katholiken, Rußland als die der orthodoxen Christen und England als die der Protestanten und der entstehenden jüdischen Gemeinde.

Bis zur Jahrhundertwende waren auch von deutscher Seite aus zahlreiche Siedlungs- und Missionsprojekte in Gang gekommen. Der 1852 von Friedrich Wilhelm IV gegründete evangelisch-deutsche 'Jerusalem Verein' - der sich um eine um eine Unterstützung der deutsch-evangelischen Anstalten und missonarischen Aktivitäten zum Ziel gesetzt hatte - hatte um die Jahrhundertwende seine Blütezeit.

Hauptsächlich aber hatten sich seit 1861 die schwäbischen Templer engagiert, und hier verbanden sich religiöse mit politischen Beweggründen besonders stark. Ihre Siedlungsideologie erhielt - wie auch alle weiteren deutschen deutschen kolonistischen Bestrebungen nach der Reichseinigung ihre Impulse hauptsächlich aus dem religiös-kulturellen Bereich. Dieser wurde nationalistisch aufgeladen und von Anfang an mit der Überzeugung an die Überlegenheit deutscher Kultur betrieben.

Kaiser Wilhelm II. hatte die Reise nach Palästina angetreten, um bei der Einweihung der evangelischen Erlöserkirche, deren Turm er persönlich entworfen hatte, anwesend zu sein. Mag sein dynastisches evangelisch-protestantisches Sendungsbewußtsein ein nicht zu unterschätzender Grund gewesen sein, für den Wunsch bei der Kircheneinweihung dabeizusein und sein aufsehenerregender pompöser Einzug durch das Jerusalemer Stadttor als prestigeträchtiges Symbol der Reise durch die illustrierte zeitgenössische Presse verbreitet worden sein, so blieb als politisches Ergebnis der Reise die Bekräftigung der Bindung reichsdeutscher Orientpolitik an die Türkei als angeschlagende, aber immer noch einflußreiche Macht am Bosperus.

Der Besuch des Kaisers beim Sultan Abd ul Hamid II. in Konstantinopel auf dem Weg nach Palästina stand dabei im auffälligen Widerspruch zum christlichen Sendungsbewußtsein des Kaisers, aber der eigentliche politische Ertrag der Reise lag in der "vornherein intendierten Vertiefung der deutschen Beziehungen zum osmanischen Reich und des "roten Sultans".

Abd ul Hamid II. war wegen der Massaker von 1896 an den christlichen Armeniern bei den übrigen europäischen Mächten in Mißkredit geraten und deren politische Funktionen als Schutzmächte der verschiedenen Religionen ließ auch die internationale Presse die Reise des deutschen Herrschers mit großer und kritischer Aufmerksamkeit verfolgen. In der deutschen Öffentlichkeit hatte die Resonanz auf die Reise sowohl große Zustimmung als auch Ablehnung hervorgerufen.

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