1 Prinz Heinrich in Amerika 1902
1.1 Die kinematographischen Vorführungen
1.2 Die Reise
1.3 Der Markt der kinematographischen Bilder

Der Markt für die kinematographischen Aufnahmen der USA-Reise des Prinzen Heinrich war bereits etliche Wochen vor Beginn der Reise eröffnet worden.
Die Filmproduzenten und -händler der Jahrhundertwende ließen sich das sensationelle politische Ereignis natürlich nicht entgehen.
Der zu dieser Zeit in Berlin ansässige Filmfabrikant S. Lubin reagierte bereits am 1. Februar in der Schaustellerzeitung 'Komet'. In einer redaktionellen Notiz hieß es dort:

    "Lebende Bilder. Wieder ist es Professor Lubin, der an der Spitze aller Anderen marschiert und für Cineographen-Besitzer immer als Erster und Einziger das bringt, was das Publikum haben will und womit man Geld verdienen kann. Kaum wird es bekannt, daß Prinz Heinrich als Vertreter Kaiser Wilhelm II. nach Amerika fährt, um der Taufe der kaiserlichen Yacht beizuwohnen, so hat Professor Lubin auch schon Vorkehrungen getroffen, alle diese Ereignisse in Lebenden Bildern festzuhalten. Die besten Plätze sind für ihn reserviert und polizeiliche Privilegien wurden ihm bewilligt, die keinem anderen zugänglich sind, um alles Bemerkenswerthe bei der Ankunft und während der Anwesenheit des Prinzen Heinrich aufzunehmen. Professor S. Lubin, der sich gegenwärtig in Berlin befindet, hat seine Fabriken derart vergrößert und mit seinen neuesten Patenten versehen, daß er dem enormen Ansturm von Bestellungen in kürzester Zeit gerecht werden kann. Wir bitten unsere verehrten Leser , die Anzeige von Lubin's Cineographen= und Filmfabrik. G.m.b.H., Berlin SW, Jerusalemerstraße 66 auf den letzten Seiten unseres Blattes zu beachten und sich bei Bestellungen und Anfragen stets auf unser Blatt zu beziehen."

In der ganzseitigen Anzeige, die Lubin geschaltet hatte, wies er unter der fettgedruckten Überschrift: "Prinz Heinrich in Amerika!" auf vier Photographen hin, die er engagiert hatte, "alle Ereignisse aufzunehmen, die mit dem Besuch des Prinzen Heinrich in Amerika zusammenhängen."
Ordern konnten die potentiellen Kunden zu diesem Zeitpunkt bereits die Motive der "Ankunft S.k.H. des Prinzen Heinrich in New York"; den "Stapellauf der kaiserlichen Yacht Rheingold (sic!)"; "die Taufe der kaiserlichen Yacht durch Miss Roosevelt; "Präsident Roosevelt und Prinz Heinrich bei ihrer Auffahrt"; "Parade zu Ehren des Prinzen Heinrich und sonst alles Bemerkenswerthe."

Mit 24 DM "per 50 Fuss" verkaufte Lubin die Prinzenfilme zu demselben Preis wie alle anderen 8.000 Filme, die er nach eigenen Angaben im Angebot hatte.

Die Bestellungen waren für die Interessierten ab dem 1. Februar möglich und wurden nach der Reihenfolge des Eingangs und einer Anzahlung in nicht genannter Höhe erledigt. 3 1/2 Wochen vor Ankunft des Prinzen in New York konnten Filmvorführer Filme bestellen, von denen noch kein "Fuß" abgedreht worden war, um nach Fertigstellung möglichst schnell vor ihrem Publikum mit den Aufnahmen aufwarten zu können.

Die tatsächlichen Aufnahmen der ersten Stationen des prinzlichen Aufenthalts in New York und Washington, bot Lubin noch am 12. April im Komet an. Unter der Überschrift "Original Aufnahmen! Keine Kopien! Prinz Heinrich in Amerika versicherte er "[w]ie immer sind Lubin's Aufnahmen tadellos - keine sogenannten "verregneten" Bilder, die nichts sind als Kopien unserer Films, von skrupellosen, sich Fabrikanten nennenden kleinen Händlern gemacht. Unsere Filme sind klar und scharf und zeigen alle Persönlichkeiten und Handlungen in grossartiger Deutlichkeit."

Anhand der angezeigten Filme lassen sich natürlich keine Rückschlüssse ziehen auf den tatsächlichen Verkaufserfolg der angebotenen Filme. Lubin war aber zu dieser Zeit kein unbekannter auf dem deutschsprachigen Markt mehr. Der Filmapparatehersteller (Lubin's Cineograph) und Filmproduzent aus Philadelphia gehörte seit 1899 zu den regelmässigen Filmanbietern im 'Komet'. Für den 1851 als Siegmund Lubszynski in Breslau oder Posen geborenen Lubin lag es offenbar nahe, seine Erzeugnisse in Deutschland anzubieten. Er tat dies seit 1899 regelmässig mit ganz- und halbseitigen Reklamen. Zudem nutzte er die von der Zeitschrift den Filmanbietern zur Verfügung gestellte Möglichkeit, in Form von redaktioneller Reklame auf neue Produkte aufmerksam zu machen. Lubin hatte seit September 1901 auch einen Firmensitz in Berlin. Bei seinem frühzeitigen geschäftlichen Engagement mit den 'Prinz-Heinrich-Filmen' Anfang 1902 wollte er sich offensichtlich ein großes Geschäft in seiner alten Heimat nicht entgehen lassen.

Daß er aber zu diesem Zweck in seinen Annoncen Photographen suggerierte, die er nicht hatte und vor allem Dingen Filme anbot, die er nicht gedreht hatte, wird klar, wenn man weiß, daß sein großer amerikanischer Konkurrent Edison das alleinige Recht von den amerikanischen Behörden erwirkt hatte, Aufnahmen von der Ankunft Prinz Heinrichs in den USA herzustellen.

Lubin hatte Anfang 1902 die Aufnahmen Edisons von der Taufe der Kaiseryacht und einige andere Filme des Prinzen in Washington und New York dreist kopiert und konnte sie auch zunächst unter seinem Namen verkaufen.
Es sollte bis 1904 dauern, bis US-Gerichte das amerikanische Copyrightrecht von 1870, das für Photographien gegolten hatte, nun auch für filmische Aufnahmen festschrieben und Edison Recht geben sollten.
Edison hatte aber natürlich dem Engagement seines Konkurrenten bezüglich der Prinzenfilme auf dem deutschsprachigen Markt auch andere Mittel entgegenzusetzen und vermarktete seine Filme ebenfalls dort.

Der Berliner Filmfabrikant Jules Greenbaum - Remigrant aus den USA - der zur dieser Zeit seinen Firmensitz am Kurfürstendamm 200 hatte - war mit Edison zu diesem Zeitpunkt bereits im Geschäft.
Zusätzlich zu seinen eigenen Produktionen, Vorführgeräten und Zubehör hatte er den Vertrieb von Apparaten und von Filmen amerikanischer, englischer und französischer Filmhersteller als Geschäft. Dazu zählten Edisonfilme genauso wie Warwick und Pathéfilme.

Für den Vertrieb mit den 'Prinz-Heinrich-Filmen' hatte Greenbaum mit Edison eine Vereinbarung geschlossen und der Geschäftspartner in New York lieferte sofort "jede gelungene Aufnahme", so Greenbaum im 'Komet' am 15. Februar 1902. Ab sofort nahm er Bestellungen entgegen und verzichtete dabei im Gegensatz zu Lubin sogar auf Anzahlungen. Es ist natürlich aus den Annoncen nicht ersichtlich, wer der beiden Hauptkonkurrenten um die 'Prinzenfilme' den besseren Schnitt machte. Während Lubin - wie oben gezeigt - die massivere, selbstgefälligere und vor allem größere Reklame für seine Filme machte und die Lüge von den eigenen Kameraleuten am Ort des Geschehens weidlich ausschlachtete, gebührte Greenbaum dagegen der Erfolg der sensationellen und presseträchtigen ersten Vorführungen der Filme im Zirkus Busch. Greenbaums 'American Bioscope' - 'The Royal Raudvoll' bzw. 'The Royal Randvoll' , war dort engagiert und hatte ob der technischen Qualität des gezeigten für Furore gesorgt. Greenbaum unterließ es denn auch in den kommenden Wochen nicht, den begeisterten Kommentar des Berliner 'Kleine[n] Journal' vom 16. März sowohl im 'Artist' , als auch im 'Komet' als Werbetext für seine Vorführungen abzudrucken.

Während Lubin 1902 keine weiteren Filme der Prinzenreise mehr anbot - möglicherweise weil er sich nur auf Raubkopien der kinematographischen Aufnahmen der Ankunft konzentriert hatte - brachten Greenbaum und auch der Konkurrent Edison noch etliche Monate nach Beendigung der Reise Aufnahmen von weiteren Reisestationen der prinzlichen 'Blitzreise' auf den deutschsprachigen Markt. Edison hatte einen "Spezial-Photographen" auf die Tour des "Spezial-Zug[es]" mitgeschickt und konnte dann auch mit weiteren Aufnahmen der Reise aufwarten.

Es handelte sich dabei um Aufnahmen des "Prinz Heinrich am Lincoln-Denkmal in Chicago 65 Fuss; Prinz Heinrich bei den Niagara-Fällen 50 Fuss; Prinz Heinrichs Ankunft in der Harvard-Universität, Cambridge, Mass. 100 Fuss; Prinz Heinrichs Abreise von Newyork mit dem Dampfer Deutschland 100 Fuss." 'Prinz-Heinrich- Films' wurden von Greenbaum noch bis zum 21. Juni angeboten.

Interessanterweise versuchte auch Edison, seine 'Prinzenfilme' direkt zu vermarkten, und schaltete am 12. April im 'Komet' eine ganzseitige Anzeige mit ausführlicher Beschreibung seiner Aufnahmen von der Ankunft des Prinzen in New York und dessen ersten Tage in den Staaten sowie einer besonders inszenierten Aufnahme. Dazu kamen im Juni fast diesselben Aufnahmen, die auch Greenbaum im Programm hatte; lediglich ergänzt durch die Aufnahme "Revue der Kadetten vor Prinz Heinrich" .

Bestelladresse für die Edisonfilme war zum einen die europäische Niederlassung der National Phonograph Co. in Antwerpen für die Filme von der Rundreise und die Edison Mfg. Co. in Orange, N.J. für die Filme von der Ankunft des Prinzen. Da sich keine anderen Anzeigen Edisons in den Zeitungen für meinen Untersuchungszeitraum finden, kann vermutet werden, daß Edison dem Engagement seines Konkurrenten Lubin bezüglich der Reise des Prinzen Heinrich in die USA nicht untätig zusehen wollte und diese zum Anlaß nahm, Lubin auch in seinem deutschen bzw. europäischen Absatzgebiet Terrain streitig zu machen. Dabei kümmerte ihn offensichtlich auch seine Vereinbarung mit Jules Greenbaum nicht, der diese Filme ja ebenfalls anbot. Der Konkurrenzsituation der beiden amerikanischen Filmproduzenten und Händler verdankten die potentiellen Filmhändler und Zuschauer im deutschsprachigen Raum ein noch lange nach der Reise bestehendes Angebot an 'Prinz-Heinrich-Filmen'.

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