In der Prinzenreise über den Atlantik trafen aber darüberhinaus die wichtigsten politisch-verlegerischen Interessen August Scherls zusammen. Scherl war um die Jahrhundertwende ein eifriger Förderer der Flottenpropaganda und hatte u.a. dem Reichsmarineamt 1899 Unterstützung mit Hilfe seiner in Massen-auflagen erscheinenden Publikationen angeboten.
Er hatte um diese Zeit die ursprünglich für seine Zeitungen und Zeitschriften propagierte politische Neutralität aufgegeben - dies sollte vor allem für den 1883 gegründeten 'Berliner Lokal-Anzeiger' gelten - und räumte den Aktivitäten des Flottenvereins in seinen Publikationen um die Jahrhundertwende regelmäßig Platz ein.

Scherl griff mit der Flottenbegeisterung ein wichtiges gesellschaftliches Zeitphänomen in seinen Presseerzeugnissen auf. Da gerade der 'Tag' seit seiner Gründung 1901 ein Verlustgeschäft war und auch der 'Berliner Lokal-Anzeiger' um die Jahrhundertwende dem Konkurrenzdruck vor allem der 'Berliner Morgenpost' aus dem Hauses Ullstein immer stärker ausgesetzt war, steht zu vermuten, daß die massive Berichterstattung über die Prinzenreise in die USA in diesen Blättern auf ein vorhandendes Interesse des Publikums spekulierte und dessen Teilhabe an der allgemeinen Marinekultur geschäftlich zu nutzen suchte.

Die maritime Thematik der Schiffsreise des Kaiserbruders in die USA knüpfte damit zum einen an diese Interessen an und bot reichlich Gelegenheit in Wort und Bild der Scherl'schen Publikationen darauf einzugehen.
Zudem ging die Reise in die USA, deren Geschäftsmethoden bezüglich moderner Zeitschriftentypen Scherl bei der Entwicklung seiner eigenen Blätter als Vorbild gehabt hatte. Jetzt gab es die Gelegenheit, mit der Entsendung der Spezialkorrespondenten, die Exclusivität der eigenen Berichte zu betonen und damit die eigene 'amerikanische' Schnelligkeit in der Berichterstattung dem Publikum zu präsentieren:

    "Wie unsere Leser aus den vorstehenden Privat-Kabeltelegrammen erlesen, haben zugleich mit dem Prinzen Heinrich unsere nach Amerika entsandten Spezial-Correspondenten, Hauptmann a.D. Dannhauer und Marineschriftsteller Johannes Wilda, das Ziel ihrer Reise erreicht. Im Verein mit unseren ständigen amerikanischen Correspondenten werden wir sie unsere Leser schnell und ausführlich über die Vorgänge der Prinzenreise unterrichten. Insbesondere wird Herr Hauptmann a.D. Dannhauer als Theilnehmer an der Blitzfahrt des prinzlichen Sonderzuges Gelegenheit haben, die einzelnen Phasen der Reise in genauester und eingehendster Weise zu schildern, während Herr Marineschriftsteller Wilda mit einer Spezialmission von uns betraut ist, in der er später Gelegenheit finden wird, seine fachwissenschaftlichen Kenntnisse zur Geltung zu bringen."

An Bord des Schiffes fanden sich aber auch zahlreiche andere Journalisten und Zeichner, wie der Korrespondent des 'Tag' schrieb:

    "An Bord wird fleißig interviewt, photographiert und gezeichnet. Meuchlings arbeitet eine Gruppe amerikanischer Presseherren, deren Beruf mancher Harmlose erst viel zu spät erkennt. Auch die Karikatur wird gepflegt. Einer der amerikanischen Künstler ist recht begabt und hat ein hübsches Bild der Prinzen-Tisch-Ecke entworfen. Der Prinz kommt den Wünschen sämtlicher Herren mit unermüdlicher Liebeswürdigkeit entgegen."

Ein maßgeblicher Grund für die Nähe der Journalisten zum kaiserlichen Bruder wird auch gewesen sein, daß der Prinz nicht etwa auf einer Kaiseryacht in die USA gefahren war. Er überquerte auf dem Schnellpostdampfer 'Kronprinz Wilhelm' des Norddeutschen Lloyd den Atlantik. Dort befand er sich natürlich nicht in exklusiver höfisch-militärischer Gesellschaft. 300 Kajütpassagiere und 700 Zwischendeckpassagiere fuhren mit ihm in die USA. Die Pressevertreter hatten es in dieser relativ offenen Umgebung sicherlich leichter als üblich, Zugang zum Prinzen zu erlangen.

Am 15. Februar war Prinz Heinrich in Bremerhaven an Bord gegangen. Am Morgen des 24. Februar vermeldete der 'Tag' in einer Extraausgabe die Ankunft des Prinzen in New York:

    "Der Bruder unseres Kaisers, Prinz Heinrich ist nach stürmischer Fahrt auf dem 'Kronprinz Wilhelm' gestern Vormittag mit fast 24 stündiger Verspätung [das Schiff war in einen Schneesturm geraten, d.Vf.] glücklich im Hafen von New York eingetroffen. Angesichts der Bedeutung dieser Reise des Prinz-Admirals und des allgemeinen Interesses, welches ihr allenthalben entgegengebracht wird, erachten wir es als journalistische Pflicht, unvorzüglich von allen Vorgängen in Kenntniß zu setzen, die sich gegenwärtig jenseits des Oceans auf dem Schauplatze der festlichen Begebenheiten abspielen. In der vorliegenden Extra-Ausgabe veröffentlichen wir deshalb die während des gestrigen Sonntags und der heutigen Nacht bei uns eingegangenen Privatkabeltelegramme unserer amerikanischen Spezial- und ständigen Correspondenten."

Was nun folgte, sollte bis zur Rückkehr des Prinzen am 18. März in Cuxhaven, typisch bleiben für die in alle Einzelheiten gehende Berichtstattung über die Prinzenreise aus dem Hause Scherl. So wurde unter den Überschriften ""Hohenzollernwetter" in New York ", "Die Einfahrt in den Hafen", "Prinz Heinrich an Land" und schließlich "Der Kronprinz Wilhelm im Sturm" die Ankunft in New York beschrieben und der Beschreibung der schwierigen Überfahrt im Schneesturm ausführlicher Platz eingeräumt.

Die Aufmachung und Gestaltung der Prinzenreise in den Scherlschen Presseerzeugnissen der Jahrhundertwende spiegelt sehr anschaulich die Ambivalenz eines wichtigen Teils der reichshauptstädtischen Presse, die sich modern gab in den Formen der Berichterstattung und des Vertriebs und dabei zu berichten hatte nicht nur über zwei rivalisierende Mächte, sondern auch über den Empfang eines gekrönten Hauptes in einem demokratischen Land. Dies zeigte sich beispielhaft im Landgang des Prinzen in New York und seiner ersten Begegnung mit der amerikanischen Bevölkerung.

    "Um zwölf Uhr legte der Dampfer an, aber viel Zeit verstrich, ehe die mit den amerikanischen Farben geschmückte Brücke nach der Empfangshalle die Verbindung zwischen Schiff und Land herstellte. In der fahnen- und blumengeschmückten Halle wartete ein erlesenens Publikum; vor der mit purpur geschmückten Treppe der 'Hohenzollern' nahm Graf Baudissin mit seinen Offizieren Aufstellung. Zuerst verließ die Marinekapelle den 'Kronprinz Wilhelm' auf der Seitentreppe, dann kamen über die Haupttreppe Admiral Evans und seine drei Offiziere und nahmen am Fuß derselben Aufstellung; nun ertönten oben drei kräftige Hurrahs, unter denen Prinz Heinrich sich auf dem Schiffe verabschiedete, namentlich dem Capitän Richter lange die Hand schüttelnd. Dann kam der Prinz, gefolgt von Admiral von Tirpitz und General von Plessen, die Treppe hinunter, während die Kapelle 'Heil Dir im Siegerkranz' anstimmte. Es schritt langsam herunter, mit ernstem Gesicht und fast wie zögernd; aber in der Gala-Uniform war seine ritterliche Erscheinung imposanter und jünger, als man gedacht hatte. Sie gefiel auf dem ersten Blick dem Publikum, das nach hiesigem Brauch in Klatschen ausbrach. Einen Augenblick schien der Prinz überrascht und, gerade auf dem Treppenabsatz stehend, stutzte er einen Moment. Dann, die Situation verstehend, blieb er stehen, und ein herzlich-freudiges Lächeln erhellte sein Gesicht, als er nach allen Seiten sich verneigend, die ungewohnte Ovation erwiderte. Dies sein freies, herzliches Lachen löste wieder laute, donnernde Hurrarufe aus."

Durch die kontinuierliche und ausführliche Berichterstattung über die jeweiligen Aktivitäten an den einzelnen Stationen während des USA-Aufenthalts des kaiserlichen Bruders betonte man hauptsächlich den touristischen Charakter der Reise; dies war ja auch von den Initiatoren so gewollt gewesen. Dabei geriet die Reise zu einen "Triumpfzug" des Prinzen in den USA.
Sie war begleitet von Empfängen aber auch von Beschreibungen von Land und Leuten; man druckte die jeweiligen Reden des Prinzen und seiner Gastgeber ebenso ab wie die Antworttelegramme des Kaisers. Dies galt besonders für die Tageszeitungen. Sowohl 'Der Tag' als auch der 'Berliner Lokal-Anzeiger' erschienen zweimal täglich und brachten in ihren Morgen- und Abendausgaben Berichte über die Reise.

Dennoch konnte auch die überwiegend positive Berichterstattung nicht alle problematischen Implikationen der Reise überdecken. Sowohl die Scherl-Presse aber vor allem kritischere Blätter wie das 'Berliner Tageblatt' und die wöchentlich erscheinende 'Zukunft' nahmen sich auch anderer Aspekte der Fahrt an. Das 'Tageblatt' lieferte auch eine tägliche Berichterstattung, aber wie bereits oben formuliert - waren diese Berichte kürzer und wurden auch von politischen Kommentaren begleitet .

Das wichtigste Konkurrenzblatt des Scherlschen 'Lokal-Anzeiger' - die liberale 'Morgenpost' hatte 1902 in der Auflagenhöhe mit dem 'Lokal-Anzeiger' fast aufgeschlossen und hatte ein Redaktionsmitglied - den Schriftsteller Conrad Alberti - auf die Reise geschickt. Alberti lieferte in den nächsten Wochen im Tenor kritischere Berichte für seine Auftraggeber , die auch in der ebenfalls von Ullstein verlegten 'Berliner Illustrierten Zeitung' veröffentlicht wurden. Er blieb nach der Heimkehr Heinrichs noch in den USA und berichtete unter der Rubrik 'Aus dem Lande der Freiheit' auf der ersten Seite der 'Morgenpost' von seinen Beobachtungen in den USA, die auch in der 'Berliner Illustrierten Zeitung' mit photographischen Aufnahmen veröffentlicht wurden.

Die Nähe der Pressevertreter zum Prinzen zeigte sich auch in den zeichnerischen und photographischen Darstellungen der Reise, die in den Publikationen ebenfalls ihren Platz hatten.

Hieraus resultierten interessante Kommentare in den Publikationen zu den jeweiligen präferierten künstlerischen Darstellungsformen, die den visuellen Kontext der kinematographischen Vorführungen erhellen können.

Während die 'Illustrirte Zeitung' die Gelegenheit nutzte, die künstlerische Zeichnung und den Holzschnitt, als ädaquate darstellerische Ausdrucksformen der Ereignisse herauszustellen, machten der 'Tag' und vor allem die 'Woche' von photographischen Aufnahmen Gebrauch.

Die 'Illustrirte Zeitung' schreib am 27. März über die Entstehungsbedingungen der Zeichnungen Emil Limmers anläßlich der Prinzenreise:

    "[...] hat unser Spezialzeichner, Herr Limmer, Gelegenheit gehabt, die wichtigsten und interessantesten Vorgänge der Prinzenreise in großen, imposanten Zeichungen darzustellen. Das freundliche Entgegenkommen des Prinzen Heinrich und des deutschen Botschafters Herrn Dr. von Holleben in Washington sowie der amerikanischen maßgebenden Persönlichkeiten und Behörden haben es dem Künstler ermöglicht, alle Details genau nach der Natur zu zeichnen, und so machen dann auch die Limmer'schen Illustrationen durchaus den Eindruck des Gesehenen, Miterlebten.(...) Prinz Heinrich [hatte] wiederholt die Freundlichkeit, Herrn Limmer zu sich einzuladen und seine Skizzenbücher und Zeichnungen durchzusehen."

Abschließend bekräftigte und verteidigte die Zeitung die bessere Qualität von Illustrationen - deren hervorragenden Publikationsort sie seit 1843 darstellte - gegenüber der neu propagierten Momentphotographie.

    "Von den uns in ganzen Serien zugegangenen Momentphotographien der Prinzenreise haben wir keine benutzt, da sie fast durchweg nur einzelne unwesentliche Ausschnitte und Straßenszenen in ziemlich kleinen, zumeist recht unklaren und kümmerlichen Bildern darstellen. Was gegenüber diesen billigen Augenblicksphotographien, die trotz der vielgerühmten photographischen Treue doch immer nur einen Abklatsch der Wirklichkeit geben können, die jetzt zu neuem Leben erweckte künstlerische Zeichnung in Verbindung mit dem freilich kostspieligen künstlerisch geschulten Holzschnitt zu leisten vermag, das zeigen auch wieder die Limmerschen Illustrationen von der Amerikareise des Prinzen Heinrich, obwohl die Herstellung selbstverständlich mit größter Schnelligkeit erfolgen mußte."

Die 'Illustrirte Zeitung' präsentierte allerdings nicht nur die Arbeiten Limmers zur bildlichen Darstellung der Prinzenreise, die immer der Anspruch auf Authentizität umgab. Der bekannte Marinemaler Willy Stöwer entwarf aufgrund allgemein bekannter Nachrichten der Reise Illustrationen z.B. zu der 'Überfahrt im Schneesturm', die dramatisch und effektvoll in Szene gesetzt wurde. Stöwer lieferte aber auch eine Darstellung der Kaiseryacht, die er auf Grund von Bauplänen gestaltet hatte. Die ganzseitige Darstellung der Kaiseryacht im Folioformat - einmal abgesehen von einer möglichen Debatte um ihre künstlerischer Qualität - suchte tatsächlich bei den mir vorliegenden Momentphotographien ihresgleichen. So wurden in der 'Woche' zwar photographische Aufnahmen von der Taufe der Yacht gezeigt. Sie waren aber, wie viele andere Momentphotographien, die die Zeitschrift von der Reise druckte, tatsächlich verschwommen und lieferten auch nur kleine Ausschnitte der Taufaktion.

Die Reise Prinz Heinrichs in die USA bot der 'Illustrirte[n] Zeitung' offensichtlich Gelegenheit, auf ihrem ureigenen Gebiet nochmals Terrain wiedergutzumachen, daß ihr um die Jahrhundertwende von seiten der Momentphotographie streitig gemacht worden war. Interessant ist dabei das Verständnis, daß der abgebildeten Wirklichkeit zu Grunde lag. Man hatte offensichtlich keine Probleme damit, der Phantasie entsprungene Darstellungen wie z.B. der des 'Kronprinz Wilhelm im Schneesturm' oder aber auch die Zeichnung der Yacht anhand von Bauplänen einen wirklichkeitsabbildenden Charakter zuzubilligen, deren Wirkung über die der Momentphotographie hinausging.

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