1 Prinz Heinrich in Amerika 1902
1.1 Die kinematographischen Vorführungen
1.2 Die Reise

"Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß von Eurer königlichen Hoheit in Amerika irgendwelche politischen Taten erwartet würden," so Reichskanzler Bernhard von Bülow an den Prinzen Heinrich bezüglich seiner geplanten Reise in die USA im Februar 1902.
Die Reise des kaiserlichen Bruders war von Beginn an als "Good-will-tour " über den Atlantik geplant; entbehrte aber natürlich nicht der handfesten machtpolitischen Interessen in der reichsdeutschen Außenpolitik der Jahrhundertwende.

Mit dem Eintritt des 'Deutschen Reichs' in die 'Weltpolitik' seit 1897 und dem damit in den Folgejahren einsetzenden massiven und aggressiv betriebenen Aufbau einer Deutschen Schlachtflotte hatte das kaiserliche Deutschland die große Seemacht England auf ihrem ureigenen Gebiet herausgefordert. Zudem hatte man in einer weitgehend um 1900 unter den imperialistischen Großmächten bereits 'aufgeteilten' Welt mit dem deutschen Anspruch seinen Teil vom kolonialen Kuchen abzubekommen, fast überall das Mißtrauen der 'Alten Mächte' sowie der anderen aufstrebenden Macht jenseits des Atlantik - den USA - erregt.

Unmittelbar bevor Prinz Heinrich in die USA fuhr, waren auch Bündnisverhandlungen mit England endgültig gescheitert. 1898 hatte England eine Annäherung an Deutschland gesucht und wollte dafür seine tradtionelle Politik der 'splendid isolation' aufgeben. Die alte Seemacht war zu diesem Zeit erheblich unter Druck geraten und Kolonialminister Chamberlain wollte den eskalierenden Konflikten mit Frankreich in Nordafrika und mit Rußland im Ostasien Bündnispartner auf dem Kontinent entgegensetzen.

Es kam in dieser Phase der Annäherung 1899 zur Neutralitätserklärung der deutschen Regierung gegenüber dem englischen Vorgehen im Burenkrieg, sowie einige anderer Abkommen bezüglich kolonialer Besitzansprüche. Wirklich abrücken von der gegen England gerichteten Flottenrüstung wollte man in Deutschland aber nie. Ebensowenig gab es eine geschlossen positive Meinung in der englischen Regierung gegenüber der Aufgabe der 'splendid isolation'.
Die halbherzigen Annäherungsversuche waren mit der 'Granitrede' Bülows zum Jahresbeginn 1902 mit einem Eklat in der Öffentlichkeit zu Ende gegangen.
Der Reichskanzler antwortete am 8. Januar 1902 im Reichstag auf kritische Äußerungen Chamberlains über das Vorgehen deutscher Truppen im Krieg von 1870/71. Die wiederum hatte Chamberlain zur Verteidigung des brutalen britischen Vorgehens im aktuellen Burenkrieg angeführt.
U.a. hieß es von Bülow, "das deutsche Herr stehe aber zu hoch, und sein Waffenschild sei zu blank, als das es durch ungerechtfertigte Angriffe berührt werden könne. Hier gelte das Wort das Wort Friedrichs des Großen, der in einem ähnlichen Fall einmal gesagt habe: Laßt den Mann gewähren und regt Euch nicht auf, er beißt auf Granit."

Nach dieser Rede setzte in Deutschland und England eine Art Wettlauf um die Gunst der Vereinigten Staaten ein. Das Verhältnis beider Staaten zu den USA war bereits in den Bündnisverhandlungen ein wichtiger Diskussionspunkt gewesen; Chamberlain hatte sogar 1899 - auf Initiative Bülows - für eine Triple-Allianz der 3 Mächte plädiert.
Die Reichsregierung nahm sich nun vor, ihre Beziehungen zu den USA zu verbessern und koloniale Interessenkonflikte, die natürlich auch mit den USA bestanden - erst einmal hinter dem demonstrativen Besuch des Kaiserbruders zurückzustellen.
Der Kaiser persönlich hatte die Idee gehabt, seinen Bruder als Botschafter des guten deutschen Willens in die Staaten zu schicken.
Wie bereits dargestellt, sollte der Prinz sich auf dieser Reise, die aus machtpolitischen Erwägungen heraus initiert worden war - und von England sicherlich auch so interpretiert worden ist - auf gar keinen Fall politisch äußern.

Seine Aufgabe bestand vielmehr darin - so Reichskanzler Bülow in seinen weiteren Ausführungen an den Prinzen vom 30. Januar 1902 - als Bruder des Kaisers durch "Höflichkeit, Auftreten und Erscheinen die Amerikaner zu erfreuen und von der Sympathie des Kaisers für das amerikanische Volk und von der Nützlichkeit guter Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu überzeugen."

Der Prinz durfte sich weder zur deutschen Haltung im Burenkrieg äußern, da man die neutrale Haltung der Reichsregierung nicht gefährden wollte. Äußerungen über mögliche Eroberungs-oder Einflußgedanken in Lateinamerika (Venezuelakrise) waren dem Prinzen ebenso verboten wie die Thematisierung der Philippinnenfrage oder die Vorgänge 1898 vor Manila. Zudem wurde Prinz Heinrich mit einem Memorandum über die Haltung des Deutschen Reiches zum amerikanisch-spanischen Krieg ausgestattet.

Besonderen Wert legte von Bülow auch auf den Umgang mit der amerikanischen Presse und bestand auf die vorherige schriftliche Festlegung von Reden des Prinzen. Er riet abschließend dem Prinzen, keine Kritik an inneramerikanischen Zuständen zu äußern, sondern vielmehr die "vital[en]" Amerikaner und ihr Land zu loben.

Offiziellen Anlaß dieser Reise bot dabei die Schiffstaufe der vom Kaiser bei der "Townsend-Downey-Shipbuilding Company" auf Shorters Island bei New York in Auftrag gegebenen Privatyacht 'Meteor'. Die älteste amerikanische Präsidententochter Alice Roosevelt war auserkoren worden, die Taufe vorzunehmen.

Das anschließende Besuchsprogramm durch einige amerikanische Städte der Ostküste arbeiteten auf Bitten des Hofmarschallamtes des Prinzen das Auswärtige Amt - wo man die Reise des Prinzen "für eine ganz nützliche Vergnügungsfahrt" hielt - mit Hilfe des deutschen Botschafters in Washington von Holleben aus. Dabei mutete man dem Prinzen einiges zu.

Nach seiner Ankunft in New York, die für den 22. Februar vorgesehen war, sollte er zunächst bei der Schiffstaufe anwesend sein. Bis zum 28. Februar waren sowohl in der Stadt am Hudson, als auch am Sitz der amerikanischen Regierung in Washington verschiedene Programmpunkte vorgesehen. In diese Zeit fiel u.a. ein vielbeachtetes Treffen mit Vertretern der amerikanischen Presse in New York, sowie ein zweistündiger Besuch in der Marineakademie in Annapolis und einer von zwanzig Minuten in Baltimore.
Daran schloß sich innerhalb von weiteren 10 Tagen eine Rundreise per Zug durch einige amerikanische Städte der Ostküste und des mittleren Westens an. Die Rückkehr nach New York war für den 10. März vorgesehen. Der Terminplan für diese Rundfahrt war dichtgedrängt und minutengenau geplant; oftmals bleiben dem Prinzen, seinen Begleitern und seinen Gastgebern nur wenige Minuten, bevor die Fahrt fortgesetzt wurde.
Die wöchentlich erscheinende 'Illustrirte Zeitung' informierte ihre Leser über den weiteren Verlauf der Rundreise:

    "1. März Pittsburg 10 Minuten, Cincinnati abends 20 Minuten ; 2. März Chattanoga 3 1/2 Stunden, Nashville 15 Minuten; Louisville abends 10 Minuten, Indianapolis in der Nacht 20 Minuten; 3. März St. Louis morgens 4 Stunden, Chicago abends und am nächsten Morgen; 4. März Milwaukee nachmittags 6 Stunden; 5. März Buffalo 15 Minuten, Niagara 2 Stunden 15 Minuten, Rochester abends 20 Minuten, Syracuse in der Nacht 10 Minuten; 6. März Boston; 7. März Albany am Morgen 2 Stunden, Westpoint nachmittags 2 Stunden, Ankunft in New York abends; 10. Philadelphia vormittags 5 Stunden 10 Minuten, abends Rückkehr nach New York."

Nicht nur die 'Illustrirte Zeitung' berichtete über die sensationelle Reise des Prinzen in die USA.
August Scherl, Verleger des 'Berliner Lokal-Anzeiger' und des 'Tag' sowie der photoillustrierten Wochenzeitschrift 'Die Woche' hatte sogar Spezialkorrespondenten geschickt; die 'Illustrirte Zeitung' schickte ihren Spezialzeichner Emil Limmer.

Sämtliche Pressevertreter hatten persönlichen Kontakt zum Prinzen während der Reise, und die Redaktionen der Blätter wurden nicht müde, dies in ihren Anmerkungen zu vermelden.

Während die Zeitungen mit der persönlichen Nähe zum Bruder des Kaisers die Authentizität ihrer Berichte beglaubigten und diese aufwerteten, erstaunt dennoch die recht offene Art des Prinzen im Umgang mit der Presse. Es war zu dieser Zeit nicht üblich, daß (deutsche) Journalisten Zugang zum kaiserlichen Hof hatten.

    "Und der Hof ist den Journalisten noch ganz gesperrt. Nur die Zuverlässigsten dürfen mitunter einem Ball, einer Cour, einem Ordenskapitel aus verstecktem, engem Käfig zusehen."

Ein Grund für den freundlichen Umgang mit der Presse mag gewesen sein, daß z.B. Scherl u.a. als Spezialkorrespondenten einen Hauptmann a.D. nach Amerika geschickt hatte, der sich der militärisch-kameradschaftlichen Hochachtung des 'Prinz-Admirals' erfreuen konnte.

Dies erklärt auf jeden Fall die auffallend ausführliche und meistens auch unkritische Berichterstattung in den Scherlschen Blättern, sowie deren bevorzugte Plazierung auf den Titelseiten in diesen Publikationen.

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