Am 18. Februar 1902 beschrieb der 'Berliner Lokal-Anzeiger' unter der Rubrik 'Aus der Reichshauptstadt' die Wiederaufnahme der Operette 'Don Juan in der Hölle' im Apollo und die neuesten Attraktionen des Varietés. Zum Schluß hieß es "bedeutungsvoll sind diesmal die Bilder des Kosmographen durch eine Aufnahme des Lloyddampfers "Kronprinz [sic]", auf dem bekanntlich Prinz Heinrich seine Amerikareise angetreten hat."
In der Zensurakte dagegen fanden sich außer dem "Norddeutschen Lloyddampfer Kronprinz Wilhelm, auf dem Prinz Heinrich nach New York reist" folgende andere Darstellungen:

    "- Auf der Passhöhe des großen St. Bernhard: Errettung eines im Schnee verunglückten Wanderes durch die Mönche und Hunde des Klosters;
    - ein Spanischer Stierkampf;
    - eigentümliche Vorgänge auf einer Eisenbahnstation;
    - Magierphantasien;
    - explodierende Unterseeminen sowie eine Grussstudie des Monsieur Dranem."

Die selektive Wahrnehmung der Kinematographie durch die Presse mag zunächst wie eine Binsenweisheit anmuten. Sie erscheint mir aber substantiell für die Positionierung der Filme in der öffentlichen Wahrnehmung der Zeitgenossen.
Was heute historischer Rekontruktion bedarf - nämlich zu entschlüsseln, was es mit den 'Prinz Heinrich-Films' und der Reise des Prinzen in die USA auf sich hatte - kontrastriert erheblich mit der Selbstverständlichkeit, mit der die kinematographischen Bilder in der zeitgenössischen Presse präsentiert wurden.

Die "Amerikafahrt unseres Prinz-Admirals", die Worte, mit denen 'Das Kleine Journal' die Beschreibung der kinematographischen Vorführung im Zirkus Busch eingeleitet hatte, bedurfte für die zeitgenössischen Leser und Leserinnen keiner weiteren Erläuterungen. Ebenso konnte die Mitteilung über die kinematographische Präsentation des Dampfers "Kronprinz Wilhelm" im Apollo, auf dem der Prinz "bekanntlich" seine Amerikafahrt Mitte Februar angetreten hatte, auf die Kenntnis der Sachlage beim Publikum setzen.

Das, was die Zeitgenossen bis zur Ankündigung der Filme von der Prinzenreise wußten, wußten sie - sieht man von Gesprächen ab - hauptsächlich von der ausgiebigen Beschreibung der Ereignisse durch die zeitgenössische Presse. Sie formte die Kompetenz, die das Publikum benötigte, um mit der Beschreibung und der Annoncierung der 'Prinzenfilme' etwas anfangen zu können. Hierauf konnten diejenigen zählen, die die Filme in den Massenpressepublikationen als Attraktion bewarben bzw. kommentierten.

Die Präsentation der Filme in den Tageszeitungen war darüberhinaus aber auch eingebunden in die Vergnügungsanzeigen, in die üblichen redaktionellen Mitteilungen (und Annoncen) in den kommerzialisierten Seiten der Massenpressepublikationen. Dabei war die Art und Weise des Umgangs mit den kinematographischen Angeboten denen gleich, mit denen die hauptstädtischen Vergnügungsorte üblicherweise für ihre Attraktionen warben. (Annoncen; redaktionelle Mitteilungen bzw. Reklame).

Zweitens wurden die Filme durch die politische Ausrichtungen der Zeitungen kontextualisiert. Im Fall des 'Kleinen Journal' wurde dabei die massive patriotische und nationalistische Begeisterung bzw. Zielsetzung der Publikation weitergetragen. Hier unterschied sich die Kinematographie von den anderen Vergnügungsangeboten und gewann eine eigene Qualität.

Fast allen kinematographischen Bildern, die um die Jahrhundertwende in der von mir gesichteten Massenpresse erwähnt wurden, lagen politische oder gesellschaftliche Ereignisse oder Themen zu Grunde, die durch die Presse bereits vermittelt worden waren.

Kein Thema, das auch kinematographisch relevant wurde, wurde aber so ausgiebig in den hauptstädtischen Publikationen behandelt, wie die Prinzenreise in die USA von 1902.
Hier fand offensichtlich erstmalig eine Selbstinszenierung der berichtenden Presse statt, wie es sie anläßlich anderer großer politischer und nachrichtenrelevanter Ereignisse vorher nicht gegeben hatte.

Die Reise des Bruders Wilhelm II in die USA, die Taufe der Kaiseryacht 'Meteor' durch die amerikanischen Präsidententochter "Miss Alice", der Besuch des Prinzen in Washington und New York und die anschließende "Blitzfahrt" des Kaiserbruders durch einige Staaten der amerikanischen Ostküste, geriet durch die Berichterstattung in der deutschen Presse dabei zum herausragenden Ereignis der Jahrhundertwende. Für Papst Leo stellte sie gar das "bedeutendste Ereignis des zwanzigsten Jahrhunderts" dar.

Die Reise, ihre außenpolitischen Implikationen und ihre Präsentation in der zeitgenössischen Presse stehen im Mittelpunkt der nachfolgenden Analyse. Damit soll sowohl der politisch-gesellschaftliche Kontext der 'Prinzenreise' aber vor allem der massenmediale Kontext erarbeitet werden. Hierbei bilden sowohl die Tagespresse, illustrierte Zeitungen, als auch satirische Zeitschriften, die Quellengrundlage. Sämtliche Publikationen stellten die breitgefächerte kommunikative Kompetenz her, die die Präsentation und Rezeption der kinematographischen Bilder ab Mitte März bis zur ersten Aprilwoche in der zeitgenössischen Presse begleitete. Die Rekonstruktion der Prinzenreise in der publizistischen Öffentlichkeit der Jahrhundertwende liefert zudem einen Einblick in das Verhältnis von außenpolitischer Aktion der Reichsregierung und öffentlicher Meinung im kaiserlichen Deutschland. In diesem Kontext erfahren die kinematographischen Vorführungen eine weitere Positionierung in einem näher zu beschreibenen gesellschaftspolitischen Kontext.

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