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Die Mitteilung des 'Lokal-Anzeiger' war also - abgesehen von einigen Kürzungen und kleineren Umstellungen - weitgehend textidentisch mit der des 'Kleinen Journal' vom selben Tag, vermied aber dessen Hinweis auf den "nicht endenwollenden Beifall" und die abschließende "erhebende patriotische Ovation", auf die die Meldung der anderen Zeitung vom selben Tag ebenfalls hingewiesen hatte. Ob dies drucktechnischen Überlegungen geschuldet war - unmittelbar nach dieser Mitteilung warb eine Annonce der Matratzenhersteller Westphal & Reinhold für moderne Metall-Bettstellen - kann an dieser Stelle nur vermutet werden. Mangelnden Patriotismus konnte man dem 'Berliner Lokal-Anzeiger' aus dem Hause Scherl wohl kaum vorwerfen.
Auch die liberale 'Berliner Morgenpost' aus dem Hause Ullstein vermeldete am 16. März:
"Die Taufe von S.M. Yacht "Meteor" durch Miß Alice Roosevelt, sowie der Empfang des Prinzen Heinrich in Washington werden seit gestern durch den Kosmographen in großartigen lebenden Tableaux vorgeführt. Die im Apollo-Theater gezeigten Bilder sind die ersten nach Deutschland gelangten lebenden Photographien jener großen und bedeutsamen Ereignisse."
Allerdings gab es die ausgiebigen Beschreibungen der emotionalen patriotischen Begeisterung des Publikums anläßlich der kinematographischen Vorführungen der 'Prinz Heinrich Filme' des 'Kleinen Journal' im 'Berliner Lokal-Anzeiger' und der 'Berliner Morgenpost' auch im Laufe der weiteren Berichterstattung nicht.
Die Orientierung des 'Kleine[n] Journal' auf ein ausschließlich gehobeneres bürgerliches Publikum - das die bevorzugte Trägerschicht des kaiserzeitlichen Nationalismus darstellte - dürfte also der Grund hierfür gewesen sein.
Geradezu karg nahm sich die Meldung über die Publikumsreaktionen in der 'Berliner Morgenpost' aus. Hier wurde zwar auch der Beifall des im Zirkus anwesenden Publikums angesichts der kinematographischen Bilder des Landgangs des Prinzen in New York kommentiert. Die 'Morgenpost' vermied dabei aber die auf der Leinwand sichtbaren Personen und Dinge und den Beifall des Publikums in einen direkten ursächlichen Zusammenhang zu setzen, wie dies der 'Lokal-Anzeiger' vom 23. März tat.
Hier brach - wie bereits oben gesehen -
"beim Erscheinen des Prinz-Admirals, sowie der bekanntesten deutschen Seeoffiziere, beim Einlaufen des stolzen deutschen Riesendampfers [ ] elementarster Beifall durch."
In der 'Morgenpost' griff man dabei die den beiden anderen Berliner Tageszeitungen zur Verfügung stehenden Versatzstücke ebenfalls auf, um die Vorgänge angesichts der kinematographischen Vorführungen im Zirkus Busch zu beschreiben. Der Kommentar über das beifallspendende Publikum war aber sachlich und summarisch gehalten und entbehrte jeder nationalistischen Tönung. Er erschien zudem am Ende lediglich als eine weitere gelungene Nummer des erfolgreichen Zirkusdirektors Busch und wurde als optimale Ergänzung des ohnehin reichhaltigen Programms 'bei Busch' kommentiert:
"Augenblicklich werden ganz vorzügliche "lebende Photographien" in Lebensgröße, welche die bedeutungsvollsten Momente der Amerikafahrt unseres Prinzen Admirals zur Veranschaulichung bringen, geboten: die Ankunft des Riesenpostdampfers "Kronprinz Wilhelm" im New Yorker Hafen und das Anlegen an der Pier des Norddeutschen Lloyd, an welcher auch bereits die 'Hohenzollern' vertäut ist: ferner die Ankunft des Prinzen in Washington und zum Schluß die Ceremonie beim Stapellauf der Kaiseryacht "Meteor". Die Vorgänge hier werden jedesmal vom Publikum stürmisch applaudiert. Kommissionsrat Busch hat mit dieser jüngsten, hochaktuellen Neuerwerbung wieder einmal eine great attraction ersten Ranges auf sein ohnehin reichhaltiges Programm gesetzt."
Hiermit unterschied sich die Präsentation der kinematographischen Vorführungen von den anderen präsentierten Attraktionen auf den Vergnügungsseiten der Tagespresse. Die nationalistische Aufladung der kinematographischen Bilder durch die Präsentation im 'Kleine[n] Journal' und die immerhin gute patriotische Stimmung, die der 'Berliner Lokal-Anzeiger' anläßlich der 'Prinzenfilme' notiert hatte, zeigten die Kinematographie in der von mir gesichteten hauptstädtischen Presse abhängig von den jeweiligen politischen Interessen und Ausrichtungen der sie präsentierenden Publikationen.
Die liberale 'Berliner Morgenpost' stellte daher die positiven Publikumsreaktionen vor Ort überhaupt nicht in einem patriotischen oder nationalistischen Kontext.
Die nahezu textidentischen Kommentare lassen darüberhinaus aber den Schluß zu, daß man sich bei den Zeitungen derselben Quelle bediente und sie je nach eigenem Bedarf zuschnitt. Dabei liegt nahe, daß es sich hierbei um Mitteilungen der Direktionen der Abspielstätten handelte, die in den Redaktionen individuell bearbeitet wurden bzw. mit Eindrücken vor Ort ergänzt wurden. Das könnte die Nutzung derselben Wörter bzw. Sätze in den Publikationen erklären. Dies liegt auch deswegen nahe, da die Tageszeitungen in ihrer Wort- und Satzwahl jeweils aus dem Apollo und aus dem Zirkus Busch nahezu identisch vermeldeten.
So schrieb der 'Berliner Lokal-Anzeiger' am 20. März:
"Ganz vorzügliche "lebende Photographien" in Lebensgröße, welche die bedeutungsvollsten Momente der "Amerikafahrt unseres Prinz=Admirals" zur Veranschaulichung bringen, bietet augenblicklich der Circus Busch. Weit über das Niveau der bisher in diesem Genre in Berlin hier und da gezeigten Bilder erheben sich diese Riesentableaux in Bezug auf Klarheit der Bilder selbst und der einzelnen Figuren."
Der 'Lokal-Anzeiger' ließ an dieser Stelle zwar die ausführliche Beschreibung der politischen und militärischen Prominenz weg, der das 'Kleine Journal' in Erscheinungsweise und Pysiognomie ausführlichen Raum gegeben hatte. Die Zeitung bediente sich dann allerdings derselben Sätze wie das 'Kleine Journal', um die filmtechnische Qualität des Gezeigten zu betonen.
Ähnlich verfuhr die Zeitung am 23. März in ihrer Mitteilung über die Vorführung im Zirkus Busch, die den Kommentator des 'Kleinen Journal' zu der Beschreibung des Jubels "von den Logen ab bis zur Gallerie hinauf" veranlaßt hatte. Auch hier gab es den Hinweis auf das weltstädtische Publikum und den Beifall angesichts der kinematographischen Vorführungen. Auf die Ausführungen über das deutsche Nationalgefühl und die Freude angesichts der gezeigten Szenen verzichtete der 'Lokal-Anzeiger' auch hier wieder.
Hier erschien vor allem ein weltstädtisches Publikum als das Publikum vor dem Kinematographen.
"Die ausgezeichneten "lebenden Photographien" welche augenblicklich im Circus Busch zur Vorführung gelangen, in denen die bemerkenswerthesten Vorgänge bei der Amerikareise des Prinzen Heinrich veranschaulicht werden, üben bedeutende Anziehungskraft auf unser weltstädtisches Publikum aus. Allabendlich ist der weite Circusbau voll besetzt; beim Erscheinen des Prinz-Admirals, sowie der bekanntesten deutschen Seeofficiere, beim Einlaufen des stolzen deutschen Riesendampfers "Kronprinz Wilhelm " in den Hafen von New York, bricht elementarer Beifall durch. Da der Circus nur noch kurze Zeit in Berlin bleibt, so sollte niemand den Besuch desselben verabsäumen."
Der Zirkus Busch und das Varieté Apollo waren die hervorragenden Abspielstätten der 'Prinzenfilme' in Berlin. Das andere große Varieté der Hauptstadt, das ebenfalls 'Prinz-Heinrich-Filme' zeigte, war der Wintergarten. In einer Mitteilung vom 25. März hieß es im 'Berliner Lokal-Anzeiger':
"Um in den Ernst der Charwoche die unentbehrliche Abwechslung zu bringen, welche dem großstädtischen Publikum nun einmal ein Bedürfniß geworden ist, hat der Wintergarten eine Reihe von Neu-Engagements auf dem Gebiete der akrobatischen Künste getroffen, welche als geradezu hervorragend bezeichnet werden müssen. Neben diesen bleiben natürlich die reizende Französin Yvonne Kerlord und die strahlende Schwedin Ingeborg Ballström auf dem Gebiete des Gesanges, sowie Henry de Vrys Colossal-Statuen als künstlerische Augenweide Hauptanziehungspunkte dieses Programms, welchem die neuen Prinz-Heinrich-Bilder des Biographen noch einen besonderen Reiz verleihen."
Um diese Zeit hatten offensichtlich auch die 'Prinzenfilme' ihre Anziehungskraft als ausschließliche Attraktion in den Vergnügungsprogrammen bereits verloren. Sie wurden zwar noch als ein wichtiger Teil des Programms dargestellt, verliehen diesem einen "besonderen Reiz", oder waren im Zirkus Busch der "Hauptmagnet für die Berliner" eine "Sehenswürdigkeit allerersten Ranges". Sie wurden aber immer im Kontext mit den anderen Programmpunkten beschrieben, denen nicht weniger Attraktivität und Anziehungskraft zugesprochen wurde.
Wichtig für den Kontext der Präsentation der 'Prinz-Heinrich-Filme' scheint mir an dieser Stelle auch der Hinweis auf die Charwoche und die "unentbehrliche Abwechslung, welche dem großstädtischem Publikum nun einmal ein Bedürfnis geworden ist". Alle Vergnügungstätten hatten in dieser Zeit unter der verschärften Zensur zu leiden und mußten angemessene Programme zusammenstellen. Andererseits wollten sie sich das Geschäft mit den Ostertouristen in der Hauptstadt und der - durch die sich anschließenden Feiertage - auch den Berlinern zur Verfügung stehenden Freizeit nicht entgehen lassen und boten oftmals zusätzliche 'Extravorstellungen' an den Feiertagen an.
Die Filme der 'Heinrichreise' gehörten dabei im Frühjahr 1902 zu den hervorgehobenen Programmpunkten und konnten sich eines großen Publikumsinteresse sicher sein:
"Auf den Circus Busch möchten wir namentlich die zahlreichen Ferienbesucher unserer Residenz, die nach fesselndem Amusement während der Osterfeiertage Verlangen tragen, besonders hinweisen. Director Busch giebt je zwei Vorstellungen am ersten und zweiten Feiertage. Am ersten Festtage geht nachmittags die Pantomine "Hie guet Brandenburg allewege", ein Ritter - und Reiterspiel aus der kurbrandenburgischen Zeit, am zweiten Festnachmittage die Pantomime "Berliner Landpartien" in Scene; das glanzvolle Schaustück "Klondyke" folgt an den Abendvorstellungen, desgleichen die "Lebenden Photographien" von der Amerikafahrt des Prinzen Heinrich."
In einer Vorstellung des Zirkus Busch am 5. April gab es noch einmal eine Vorführung der "Prinz-Heinrich-Bilder", die anläßlich einer Sondervorstellung vor den "kaiserlichen Kindern" im 'Berliner Lokal-Anzeiger' erwähnt wurden und dort unter der Rubrik "Aus der Reichshauptstadt" plaziert worden waren.
In der Hofloge des Zirkus saßen "außer dem Prinzen Joachim und seiner Schwester, der Prinzessin Victoria Louise, die Kinder des Prinzen Heinrich und des Prinzen Friedrich Leopold, sowie eine Reihe jugendlicher Spielgenossen, darunter Kinder des Kammerherrn v.d. Knesebeck, des Herrn v. Wedel u.s.w." Das Programm brachte eine "Reihe niedlicher Sächelchen aus dem Reiche der Circuskünste".
Dazu zählten die Vorführung der 16 dressierten Hengste durch Direktor Busch ebenso wie der Ritt von Burkhardt-Footritt auf dem Wallach "Mephisto". Zum Schluß zeigte das "Bioskop lebende Bilder von der Amerikafahrt des Prinzen Heinrich."
Hier war es zuerst natürlich die Exklusivität des Publikums, das die Vorführung im Zirkus für die Zeitung interessant machte. Die Direktion des Zirkus konnte sich zudem mit den kleinen adeligen Gästen als hervorragendes Vergnügungsinstitut der Reichshauptstadt schmücken. Die Kaiserin persönlich hatte diese Sondervorstellung 'angeordnet'. Im Publikum saßen außerdem Kadetten, Abordnungen der Berliner Garderegimenter und Waisenkinder.
Die Meldung bezeugt zudem noch einmal die Heterogenität des Publikums und der Aufführungssituationen der kinematographischen Bilder in ihren Anfangsjahren.
Sie reichten von der exklusiven Sondervorstellung vor einem adeligen Publikum bis zur Vorstellung im gut besuchten Zirkus oder in den Varietés.
Hier konnte ein nach Tausenden zählendes Publikum, - offensichtlich alle gesellschaftliche Schichten umfassend - in den Genuß der kinematographischen Vorführungen kommen.
Diese standen immer im Kontext der an diesen Orten gezeigten Programme und waren somit eingebunden in die artistischen und künstlerischen Präsentationen und Vorlieben an den jeweiligen Aufführungsorten. Anhand der von mir gesichteten Quellen lassen sich einige der anderen Programmnummern ersehen. Da es sich aber dabei immer nur um eine Auswahl der herausragenden Attraktionen handelte - die vor allem die Bedürfnisse der Direktionen nach Anzeigen der Attraktionen, von Programmwechseln und dem Einführen von neuen Engagements erfüllten - lassen sich komplette Programmabläufe anhand dieser Quellen nicht rekonstruieren. Dies gilt m. E. auch für die in den Publikationen geschalteten Annoncen, die in einfach gestalteten, kleinen Textanzeigen und auf relativ knappen Raum auf die jeweiligen Programme und Attraktionen hinwiesen.
Deutlich wird aber in diesem Zusammenhang, daß die Filme nicht unbedingt eine inhaltliche Entsprechung zu anderen Programmpunkten hatten, wie dies für die Anfänge der Varietékinematographie behauptet worden ist. Es wurden weder in den Varietés der Jahrhundertwende vorzugsweise abgefilmte Akrobaten gezeigt , oder gar gefilmte dressierte Pferde etwa im Zirkus Busch.
Die in der Presse erwähnten Filme waren dabei aber nicht die einzigen, die im Rahmen der kinematographischen Vorführungen in den Vergnügungstätten Berlins präsentiert wurden.
In den Varietés der 'Kurzfilmzeit' (C. Müller) um die Jahrhundertwende waren sie Bestandteil eines üblicherweise zum Schluß des Programms mit mehreren Filmen bestückten Filmprogramms. Meist handelte es sich um die Kombination von Aktualitäten, komischen Szenen und kleineren inszenierten Spielfilmen.
Die für das 'Apollo-Theater' vorliegenden Zensurakten können leider den Kontext der seit Mitte März präsentierten 'Prinz-Heinrich-Filme' nicht näher erhellen. Das Märzprogramm war - wie üblich - bereits gegen Ende des vorangegangenen Monats genehmigt worden.
Die ab Mitte März gezeigten Szenen vom Empfang des Prinzen in Washingten gelangten daher möglicherweise ohne vorherige Genehmigung zur Vorführung.
Das Märzprogramm des Apollotheater hatte aber eine andere Attraktion der Prinzenreise im Programm, die von der Presse erwähnt wurde und die als Beispiel die selektive Wahrnehmung der Filme durch die Tagespresse illustrieren können.
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