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1 Prinz Heinrich in Amerika 1902
1.1 Die kinematographischen Vorführungen
Am 20. März 1902 kommentierte das 'Kleine Journal' unter der Rubrik 'Kleine Notizen' die Vorführung "ganz vorzüglich[er] lebende[r] Photographien in Lebensgrösse" im Zirkus Busch, "welche die bedeutungsvollsten Momente der Amerikafahrt unseres Prinz-Admirals zur Veranschaulichung bringen".
Der Kommentar des Blattes erfaßte - über dem ihm eigenen Patriotismus hinaus - in der nachfolgenden ausführlichen Beschreibung der auf der Leinwand gezeigten "wichtigsten und gleichzeitig interessantesten Episoden aus dem "Reiseprogramm des Prinzen" vor allem auch den offensichtlichen filmtechnischen Fortschritt bei den "in Lebensgrösse" projezierten Bildern:
"Weit über das Niveau der bisher in diesem Genre in Berlin hier und da gezeigten Bilder erheben sich diese Riesen-Tableaux in Bezug auf Klarheit der Bilder selbst und der einzelnen Figuren."
Als wichtigsten Episoden benannt und in dieser Bildfolge auch vorgeführt wurden dabei:
Die Ankunft des Riesenpostdampfers "Kronprinz Wilhelm" im Newyorker Hafen und das Anlegen an dem Pier des Norddeutschen Lloyd, an welchem auch bereits die Hohenzollern vertäut ist; ferner die Ankunft des Prinzen in Washington und zum Schluss die Zeremonie beim Stapellauf der Kaiseryacht "Meteor" ."
War die Vorführung des Schiffs "Kronprinz Wilhelm", so der weitere Kommentar, anregend "auf das Gemüth jedes deutschen Beschauers", geriet der Galaempfang des Prinzen und seiner Begleiter am Bahnhof in Washington zum Höhepunkt der kinematographischen Darstellung.
"Wirkt schon der Anblick des deutschen Riesendampfers auf das Gemüth jedes deutschen Beschauers, wie viel mehr erst der Galaempfang unseres Prinzen und seiner Begleiter am Bahnhof in Washington."
Der Kommentar über die gemütshebende Wirkung beim Anblick des Riesendampfers auf die Zuschauer gehörte wohl in das patriotische Repertoire eines kaiserzeitlichen Berichterstatters für das 'Kleine Journal', das für seine Orientierung auf die gesellschaftlich führenden Schichten bekannt war und deren Schiffs- bzw Marinebegeisterung beförderte und spiegelte. Gesteigert wurde diese jedoch durch die Zurschaustellung des Prinzen, seiner Begleiter und der Gastgeber beim Empfang am Bahnhof in Washington.
"Zahlreiche bekannte Gestalten bieten sich da den Augen der überraschten Beschauer: Prinz Heinrich, die Admirale Tirpitz, Seckendorf und Eisendecher, die Kapitäne zur See v. Müller und v. Grumme, der Botschafter v. Holleben und der deutsche Militärattaché in Gardekürassier-Uniform mit dem Adlerhelm, General von Plessen, Offiziere der amerikanischen Armee und Marine, unter letzteren besonders ins Auge fallend, "Fighting Bob", der Kontreadmiral Robley D. Evans, mit dem markanten, an unseren Moltke erinnernden Gesichtszügen, einer der volkstümlichsten Seeleute der Welt, den Prinz Heinrich sowohl wie auch Kaiser Wilhelm II. besonders hochschätzen."
Die Portraitähnlichkeit der kinematographisch gezeigten und gut erkennbaren politischen und miltärischen Führungspersonen Deutschlands und der USA, die wegen ihrer herausragenden Funktionen beim Protokoll des Empfangs vor die Linse des 'Kinematographenoperateurs' geraten waren, ermöglichte dem Berichterstatter auch die Heraushebung von "Fighting Bob", der den Deutschen nicht nur an den heimatlichen Moltke erinnerte, sondern eben wegen seines markanten Äußeren auf der Leinwand auffiel. Ob nun das hervorstechende Gesicht des amerikanischen Kontreadmirals wegen seiner Ähnlichkeit zu Moltke dem deutschen Berichterstatter tatsächlich auffiel, oder aber ob dessen Wertschätzung durch Prinz Heinrich und Wilhelm II. - von der der Berichterstatter offensichtlich Kenntnis hatte - dazu genutzt wurde, ihn an herausragender Stelle zu nennen und seine Ähnlichkeit zu Moltke zu betonen, mag dahingestellt bleiben.
Die kinematographische Präsentation auf der Leinwand ermöglichte unter Bezug auf das Erscheinungsbild des "Fighting Bob" aber auf jeden Fall die Darstellung eines führenden amerikanischen Militärs "als eine[n] der volkstümlichsten Seeleute der Welt", vom Kaiser und dem Prinzen Heinrich respektiert. Sie fügte sich somit ein in die überwiegend euphorische und auf patriotischem Stolz orientierte Berichterstattung der von mir gesichteten deutschen Presse über die Prinzenreise in die USA, die die problematischen (außen)politischen Implikationen der Reise so gut wie unbeachtet ließ.
Die kinematographischen Vorführungen hatten aber auch eine unmittelbare Wirkung auf die Besucher des Zirkus Busch gehabt. Das 'Kleine Journal' berichtete abschließend über die Schiffstaufe durch die amerikanische Präsidententochter:
"Die Vorgänge beim Stapellauf des "Meteor" werden jedesmal vom Publikum stürmisch applaudiert, zeigen sie doch den Prinzen Heinrich neben Präsident Rossevelt und Miss Alice in frappierender Deutlichkeit, desgleichen die verschiedensten Würdenträger beider Nationen."
Das 'Kleine Journal' kommentierte auch in den folgenden Tagen - unter der Rubrik 'Wo man sich amüsiert' - ausführlich die kinematographischen Vorführungen der Prinzenreise im Zirkus Busch. Im Zentrum der Berichterstattung stand dabei die patriotische Begeisterung, die von den Vorführungen bei den Zuschauern im - offensichtlich gut besuchten - Zirkus ausgelöst worden war:
"Die ausgezeichneten "lebenden Photographien" welche augenblicklich im Circus Busch zur Vorführung gelangen und in denen, wie bereits mitgeteilt, die bemerkenswerthesten Vorgänge bei der Amerikareise des Prinzen Heinrich veranschaulicht werden, üben eine ganz augenfällige Anziehungskraft auf unser weltstädtisches Publikum, ohne Unterschied des Standes, aus."
Die Vorführungen vor einem "weltstädtischen" und vor allem einem standesübergreifenden Publikum im Zirkus interpretierte der Kommentar als Zeichen einer nunmehr voll entwickelten Nation, die weltweite Anerkennung erreicht habe und dessen Hauptstadt sich als Weltstadt behaupten konnte. Kein Wort mehr in diesem Zusammenhang von der Volkstümlichkeit eines amerikanischen Kontreadmirals oder der amerikanischen Präsidententochter, deren Portrait in den Wochen vor und während der Prinzenreise auch in der illustrierten Presse oftmals abgedruckt worden war und durchaus freundlich kommentiert worden war.
"Allabendlich ist der weite Circusbau nahezu voll besetzt und wenn beim Erscheinen des Prinz-Admirals, sowie der bekanntesten deutschen Seeoffiziere oder beim Einlaufen des stolzen deutschen Riesendampfers "Kronprinz Wilhelm" in den Hafen von New York der helle Jubel in den Massen, von den Logen ab bis zur Gallerie hinauf, mit elementarer Gewalt losbricht, so darf daraus wohl mit Recht geschlußfolgert werden, daß sich das deutsche Nationalgefühl vollentwickelt hat und jeder Zuschauende beim Anblick dieser lebendigen, packenden Szenen voll Freude empfindet, daß Deutschland und die Deutschen hochgeachtet dastehen auf dem Erdenrund und Stolz einstimmen in diesen Jubel."
Mit der Beschreibung des jubelnden Publikums im Zirkus hatte der Bericht eine nicht gerade seltene Verhaltensweise des kaiserzeitlichen Publikums angesichts der kinematographischen Vorführung von positiv besetzten politischen Motiven erfaßt.
Mit der Einbindung dieser "lebendigen packenden Szenen" in ein Nationalgefühl aber, das Wert legte auf die Weltgeltung des Deutschen Reiches, lieferte der Kommentar im 'Kleine[n] Journal' ein Beispiel für den seit den 90 er Jahren zunehmend aggressiver auftretenden Nationalismus, der von den führenden gesellschaftlichen Schichten organisiert wurde und in deren Publikationen seinen Niederschlag fand. Dies fügte sich um so besser, als die Zuschauer sowohl auf den billigen, als auch auf den teueren Plätzen gemeinschaftlich ihren Patrotismus bewiesen und soziale Unterschiede im nationalen Gemeinschaftsgefühl eingeebnet wurden.
Bis zum 27. März blieben die Vorführungen der Prinzenreise der "Hauptmagnet" des "Busch'schen Riesenprogramms", "Bilder so schön, klar und wirkungsvoll", so das 'Kleine Journal' weiter, wie sie in Berlin noch niemals gezeigt worden sind."
Die Berichterstattung im 'Kleine[n] Journal' über die kinematographischen Vorführungen anläßlich der Prinzenreise war die ausführlichsten, jedoch keineswegs die einzigen in der Berliner Presse. Ebensowenig war der Zirkus Busch die einzige Abspielstätte der Filme in der Hauptstadt.
Die ersten Vorführungen überhaupt hatte es am 15. März gegeben, sowohl im Zirkus Busch, als auch im Varieté Apollo.
Auch hier hatte ein Bericht des 'Kleine[n] Journal' vom 16. März die filmtechnische Qualität des gezeigten vor Augen, gepaart mit der patriotischen Kundgebung am Ende der Vorführungen, als er die "ersten nach Deutschland gelangten Bilder jener großen und bedeutsamen Ereignisse" beschrieb:
"Die Taufe von S.M. Yacht "Meteor" durch Miß Alice Roosevelt sowie der Empfang des Prinzen Heinrich in Washington werden seit gestern im Apollo-Theater durch den Kosmographen in großartigen lebenden Tableaux vorgeführt. Neben der verblüffenden Natürlichkeit, mit welcher auf diesen ungemein wirkungsvollen Bildern das gewaltige Getriebe jener amerikanischen Festtage dargestellt ist, überrascht vor allem die Portraitähnlichkeit der Hauptbeteiligten des Prinzen Heinrich, des Präsidenten Roosevelt und der deutschen Begleiter des Prinzen. Der nicht endenwollende Beifall, mit dem diese neuesten, hochaktuellen Darbietungen des Kosmographen begrüßt wurden, klang in einer erhebenden patriotischen Ovation aus."
Die weiteren Notizen über die Prinzenreise nehmen innerhalb der von mir gesichteten Zeitungen einen geringeren Platz ein, als der Eingangs analysierte Bericht des 'Kleine[n] Journal' vom 20. März.
Sie wurden im Rahmen der kleineren redaktionellen Notizen in den beiden Tageszeitungen dort gesetzt, wo die Anbieter kommerzieller Unterhaltung in der Hauptstadt auf ihre Programme und Attraktionen hinwiesen. Im 'Kleinen Journal' unter der Rubrik : 'Wo man sich amüsiert' und im 'Berliner Lokal-Anzeiger' unter der Rubrik 'Vergnügungen, Sehenswürdigkeiten'. Diese Rubriken befanden sich meist unmittelbar vor den Annoncen der großstädtischen Unterhaltungsangebote, die auf den letzten Seiten der Zeitungen gedruckt waren.
Im Gegensatz zu den auf die exclusiv populären, kommerziellen Anbieter zugeschnittenen Rubriken 'Wo man sich amüsiert' und 'Vergnügungen, Sehenswürdigkeiten' wurden auf diesen Annoncensseiten die Angebote auch der königlichen - und Privattheater gemeinsam mit den Angeboten der Varietés, Zirkusse, Bierhallen, Festsälen etc. präsentiert.
Im 'Berliner Lokal-Anzeiger' - der mit diversen Beilagen bis um die 30 Seiten umfassen konnte - waren diese redaktionellen Mitteilungen im Umfeld der 'Kleinen Chronik' und den 'Geschäftliche[n] Mitteilungen' in den zahlreichen Beilagen plaziert.
In der 'Kleinen Chronik' wurden kleinere Nachrichten aus aller Welt präsentiert, die nicht auf die ersten Nachrichtenseiten gehörten. Bei den 'Geschäftliche[n] Mittheilungen' handelte es sich um redaktionelle Reklame, die die Textform der sie umgebenden anderen Meldungen imitierte und deren Inhalt sich dann erst während des Lesens als Reklame erschloß.
In Einzelfällen gab es Hinweise auf die Programme der Vergnügungsstätten auch unter der "Rubrik: Aus der Reichshauptstadt". Hier wurden vor allem die größeren Varietés, wie das Apollo und der Wintergarten aufgeführt und an dieser Stelle wurden vor allem zu den jeweilgen Monatsanfängen die Programmwechsel der Häuser besprochen.
Im achtseitigen 'Kleine[n] Journal' fand sich die Rubrik 'Wo man sich amüsiert' in der Beilage; im Umfeld des Fortsetzungsromans und den Anzeigen der 'Berliner Geschäftswelt'. Die Rubrik 'Kleine Notizen' war dagegen im ersten Blatt plaziert, zusammen mit den Sportnachrichten, nach den politischen Nachrichten und den Berichten aus dem 'Berliner Leben', den 'Hof und Personalnachrichten, und der Rubrik 'Theater und Kunst', ebenfalls gefolgt von Annoncen. Beide Rubriken informierten über die Angebote der gängigen Unterhaltungsorte, die sich auch im 'Berliner Lokal-Anzeiger' fanden.
In der Zeit zwischen dem 15./16. März 1902 und dem 6. April 1902 gehörten die 'Prinz-Heinrich-Films' zu den Attraktionen im hauptstädtischen Unterhaltungsprogramm, die in den entsprechenden Rubriken dieser Blätter Beachtung fanden.
In beiden Zeitungen erschienen die 'Prinzenfilme' in den ersten Tagen nach den erstmaligen Vorführungen als herausragende Attraktion des angebotenen Programms. Das meint, daß die Hinweise auf die Filme mit dem Angebot der Varietés oftmals identisch erschienen. Es gab also keine weiteren Hinweise auf die anderen Programmpunkte bei einem Teil der Mitteilungen über die 'Prinzenreise'.
Dies war allerdings keine auf filmische Präsentationen zugeschnittene Vorgehensweise: Es gab immer wieder besondere Nummern, auf die hingewiesen wurde und die als alleinige Attraktionen genannt wurden.
Dies galt besonders für neue in das Programm aufgenommene Nummern. Der Umgang mit den kinematographischen Aufnahmen im Kontext der Vergnügungsanzeigen entsprach also den üblichen Gepflogenheiten in diesen Zeitungen bezüglich der Ankündigung neuer Programmnummern oder auch Programmwechseln.
Diese wiesen zudem eine frappierende Ähnlichkeit auf: So konnte das Publikum in der Sonntagsausgabe des 'Berliner Lokal-Anzeiger' am 16. März folgendes zur ersten Berliner Vorführung der 'Prinz-Heinrich-Filme' lesen:
"Die Taufe der Yacht "Meteor" durch Miß Alice Rossevelt, sowie der Empfang des Prinzen Heinrich in Washington werden seit gestern im Apollo-Theater durch den Kosmographen vorgeführt. Neben der verblüffenden Natürlichkeit überrascht die Portraitähnlichkeit der Hauptbetheiligten. Die im Apollo-Theater gezeigten Bilder sind die ersten nach Deutschland gelangten lebenden Photographien jener bedeutsamen Ereignisse."
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