1 Prinz Heinrich in Amerika 1902
1.1 Die kinematographischen Vorführungen
1.2 Die Reise
1.3 Der Markt der kinematographischen Bilder
2 Kaiser Wilhelm II in Palästina 1898
3 Krieg

    "Aus dem nächsten Kriege. General: Also, seid tapfer Kinder, bedenkt, die Kinestoskopen der ganzen Welt sind auf Euch gerichtet!" (Lustige Blätter, 1898, Nr. 2, S. 2.)

3.1 Transvaal

Anfang des Jahres 1900 erzählten die Berliner 'Lustigen Blätter' ihrem Publikum die erfundene Geschichte des einfallsreichen - aber glücklosen - Londoner Theaterdirektors Myers und des einfallsreichen - und erfolgreichen - amerikanischen Geschäftsmannes Folling. Die 'Blätter' erzählten die Geschichte vom Krieg der Engländer mit den Buren in Transvaal und von der Verbindung dieses Krieges mit der Kinematographie zu einem profitablen Geschäft.

    "Mr. John Myers, Direktor des Spezialitäten-Theaters 'Blue Monkey', sass finster brütend vor seinem Arbeitstisch. Nur von Zeit zu Zeit bemerkte man, dass noch Leben in ihm war, nämlich wenn er mit der geballten Faust dröhnend auf den Schreibtisch schlug, oder in weitem Bogen durch das offene Fenster auf die Strasse spuckte, unbekümmert darum, ob jemand davon getroffen würde."

Direktor Myers hatte Profit aus dem Krieg in Südafrika schlagen wollen und war auf die Kinematographie verfallen. Die Kämpfe der Engländer sollten kinematographiert und dem Londoner Publikum vorgeführt werden. So schickte er seinen Regisseur Fox

    "mit drei Reihen Platten und einem kinematographischen Photographierapparat nach dem Kriegsschauplatz, schärfte ihm ein, die ersten Schlachten mit dem Apparat aufzunehmen, und dann schleunigst nach London zurückzukehren, damit ihm niemand, der etwa den gleichen Plan hatte, zuvorkommen könne."

Als Fox zurück in London seine Aufnahmen präsentierte, war Myers entsetzt. Die Bilder zeigten,dem realen Kriegsverlauf entsprechend, die kämpfenden englischen Truppen auf der Flucht vor den siegreichen Buren. Für Myers war es unmöglich, dies dem Londoner Publikum zu präsentieren. Am Schreibtisch sitzend, sinnierte er darüber nach, wie er die 'Platten' - die ihn teueres Geld gekostet hatten - losschlagen könne. Nun trat Folling auf den Plan.

    "Plötzlich wurde er [Myers, I.K.] in seinen Betrachtungen durch ein lebhaftes Klopfen an seiner Tür gestört. "Herein!" Die Thür wurde geöffnet und ein verschmitzt aussehender Mann trat ein, dem man den amerikanischen Yankee auf fünfzig Schritte ansah."

Folling hatte von Fox über die zum Verkauf anstehenden Filme der siegreichen Buren erfahren und bot dem überraschten Myers dreihundert Pfund Stirling für die Aufnahmen. Dieser - überzeugt einen Verückten vor sich zu haben - schlug schnell ein. Einige Tage später hieß es auf Plakaten in der Stadt und in Annoncen in den Zeitungen:

    "Heute Abend findet im "Golden Hall Theatre" die kinematographische Vorführung der ersten großen Siege unserer Truppen statt. Grosse Naturtreue, Fliehende Buren. Kommt, seht die tapferen Thaten Eurer Landsleute. Eintritt 10 Shilling!"

Auch Myers war eingeladen und als die kinematographischen Aufnahmen vorgeführt wurden, traute er seinen Augen nicht. Die Engländer siegten, die Buren flohen. Im Publikum brach frenetischer Jubel los, man stimmte 'Rule Britannia' an. Der Direktor des 'Golden Hall Theatre' - es war natürlich Folling - wurde im Triumpf von der Menge durch die Straßen getragen. Als Myers Folling am nächsten Tag um eine Erklärung der veränderten Bilder bat, antwortete dieser:

    "Ganz einfach! Ich habe dem Publikum die Aufnahmen in umgekehrter Reihenfolge vorgeführt, so dass alle Bewegungen entgegengesetzt waren. Es sieht ja freilich ein bißchen unnatürlich aus, aber was lässt sich heutzutage das englische Publikum nicht bieten! Die Leute wollen eben mit aller Gewalt betrogen werden."

Die Darstellung der 'Lustigen Blätter' verknüpfte die kriegerischen Ereignisse in Transvaal mit den technischen Möglichkeiten der Kinematographie auf satirische Weise. Am 11.10.1899 hatte der Krieg der Engländer gegen die Buren begonnen, und die englische Kolonialmacht erlitt in den ersten Monaten etliche schwere Niederlagen. Die europäische Öffentlichkeit war erfreut über die Siege der Buren, sahen doch nicht wenige in diesen den Anfang vom Ende des britischen Empire. Die gesamte europäische Presse berichtete ausführlich über diesen Krieg, dessen Blatt sich für die Engländer erst wieder im Frühjahr 1900 wenden sollte. In der Zwischenzeit war die britische Armee von einer ursprünglichen Garnisionstärke von 25.000 auf über 250.000 Mann angewachsen. Mit dem Fall von Johannesburg am 31. Mai 1900 und von Pretoria am 5. Juni 1900 schien der Krieg vorerst beendet. Präsident Krüger verließ Südafrika, um in Europa - erfolglos - für die burische Sache zu werben. Der Krieg zog sich als 'Guerillakrieg' noch bis Mitte des Jahres 1902 hin und endete mit einem Sieg der Engländer, die Oranje-Freistaat und Transvall ihrem Machtbereich eingliederten.

Als der Leserschaft der Berliner 'Lustigen Blätter' zu Beginn des Jahres 1900 die Geschichte vom kinematographischen Schwindel zugunsten des Kriegsverlaufs für die Engländer präsentiert wurde, waren die englischen Niederlagen in der Öffentlichkeit bekannt. Dieses Wissen war Voraussetzung, die Geschichte und vor allem auch die Pointe zum Schluß überhaupt zu verstehen. Die Niederlage der Engländer - die die 'Lustigen Blätter' letzlich herausstellen wollten - wurde eingebunden in die typisierende Darstellung zweier großstädtischer Varietébesitzer, die auf ihren geschäftlichen Erfolg bedacht waren. Mit der geplanten kinematographischen Darstellung von kriegerischen Ereignissen konnten beide auf das Interesse des zeitgenössischen Publikums zählen. Es war dann der geschäftstüchtige Amerikaner, der die Idee zu Geld machte.

Die Kinematographie erschien in der Erzählung in zweierlei Gestalt. Sie war in der Lage, die Ereignisse in Transvaal der Wahrheit entsprechend darzustellen. Mittels ihrer technischen Möglichkeiten konnte sie aber auch das Publikum täuschen. Sie blieb hier Mittel zum Zweck, deren Ziel es war, die Blamage der Engländer in Transvaal herauszustellen. Die Erzählung bediente sich dabei aber auch Versatzstücken aus der Realität des Krieges und der damit verbundenen medialen Verarbeitung.

Der Krieg im Süden Afrikas hatte nicht nur internationale Presseberichterstattung erfahren. Er war zudem einer der ersten Kriege, deren Ereignisse zu einer breit angelegten internationalen filmischen Bearbeitung geführt hatten. Der Regisseur 'Fox', der von Varietédirektor Myers auf den Kriegsschauplatz geschickt worden war, hätte seine Vorbilder in den zahlreichen Kriegsreportern haben können, die nach Südafrika aufgebrochen waren um vor Ort Filme der Ereignisse herzustellen.

Mehr als ein Drittel der Kameramänner und Photographen kam beim Kriegseinsatz in Südafrika ums Leben oder wurde verwundet. Der amerikanische Filmpionier S. Lubin gehörte zu den Anbietern von Transvaalfilmen auf dem deutschen Markt, die ausdrücklich auf die Entsendung von eigenen Photographen zum Kriegschauplatz hinwiesen. In einer redaktionellen Reklame im 'Komet' vom 6. Januar 1900 hieß es u.a.:

    "Kaum war es bekannt, daß England und die Boeren einen diplomatischen Briefwechsel eröffneten, als Herr Lubin auch schon einen Stab von Photographen nach Transvaal in das Lager der Buren sandte mit dem Auftrage: "Bringt mir alle bemerkenswerthen Vorgänge!" Das hieß mit anderen Worten: "Spart keine Zeit und kein Geld und thut eure Schuldigkeit, wie ihr es gewohnt seid." Die Unkosten belaufen sich auf tausende von Dollars; Millionen Bilder werden aufgenommen, die dann wie ein fortlaufendes Ganzes an den Augen der entzückten Besucher vorbeilaufen, die sich großartig unterhalten und nicht ahnen, daß die Photographen ebensolche Helden sind, wie die Soldaten, denn auch sie waren oft im dichtesten Feuerregen."

Sieht man davon ab, daß es sich um Reklame handelte - und es anhand dieser Notiz nicht geklärt werden kann, ob Lubin wirklich eigene Kameraleute auf den südafrikanischen Kriegsschauplatz entsandte - wurde hier eine reale - obgleich pathetisch aufgeladene - Seite der filmischen Kriegsberichterstattung um die Jahrhundertwende beschrieben. Sie machte zudem den Unterhaltungscharakter der Kriegskinematographie deutlich. Die Filme wurden für das schaulustige Publikum der internationalen Unterhaltungsstätten produziert.
Daneben existierten vom Transvaalkrieg - wie von den anderen Kriegsschauplätzen der Jahrhundertwende auch - nachgestellte Szenen.

Auf dem Deutschen Markt inserierte Lubin ab dem 20. Januar 1900 für einige Wochen die 'Transvaal-Schlachten. Kämpfe der Engländer mit den Boeren' mit einer Länge von 350 Fuß zum Preis von 273 Mark.
Ein anderer Anbieter im deutschsprachigen Raum war Oskar Messter, der nicht näher definierte 'Burenfilms' Anfang Februar 1900 im 'Komet' inserierte.
Dem Berliner Publikum wurden Filme über den Transvaalkrieg in den großen Varietés 'Apollo' und 'Wintergarten' vorgeführt. Am 18. Januar 1900 berichtete das 'Berliner-Fremdenblatt' über den "demonstrativen Beifall" des Publikums angesichts der "Boerenbilder" des Meßterschen Kosmographen im 'Apollo'.

Am 25. Januar hieß es in einer Notiz des Blattes über die neue Attraktion im Programm des Wintergartens - und über einen weiteren Anbieter der Filme auf dem deutschen Markt:

    "Im Programm des Wintergartens figuriert seit heute eine Nummer, die das Interesse des Auditoriums in hohen Grade um ihrer Aktualität willen erregen dürfte. Es ist dies eine Serie im American=Biograph der Deutschen Mutoskop = und Biograph Gesellschaft vorgeführter Bilder, die ersten an Ort und Stelle gemachten - nicht etwa künstlich gestellte Bilder - die von der Aufnahme - Expedition der obigen Gesellschaft aufgenommen wurden."

Die Aufnahmen erfreuten sich großer Beliebheit - wie in anderen Städten des deutschen Reichs - kam es auch in Berlin zu Beifallskundgebungen für die Buren während der Vorführungen. Am 4. Februar vermeldete das 'Fremdenblatt' auf der ersten Seite unter der Rubrik 'Aus Berlin' über das neue Programm des 'Wintergarten' u.a. :

    " Aus der Fülle der sonstigen Darbietungen sei nur noch die der American-Biograph erwähnt. Er führt neben den bekannten Tableaux eine Serie von Bildern aus dem Transvaalkrieg vor, die in ihrer überraschenden Natürlichkeit das weitgehenste Interesse erregten und dem Publikum Gelegenheit boten, seinen Sympathien für die Buren durch den lebhaftesten Beifall Ausdruck zu geben."
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