Das 'Berliner Fremdenblatt' war, ebenso wie die 'Lustigen Blätter' und auch die 'Berliner Damen Zeitung' auf Leser und Leserinnen der adeligen und oberen bürgerlichen Schichten ausgerichtet. Das - in einigen Rubriken dreisprachige Fremdenblatt - hatte als Zielgruppe die nach Berlin kommenden Touristen also die Schichten, die sich das Reisen überhaupt leisten konnten. Die Tageszeitung verzeichnete Listen der in Berlin weilenden Besucher und bot neben politischen Nachrichten zahlreiche Hinweise auf das Unterhaltungsangebot der Reichshauptstadt.

Die wöchentlich in einer Auflage von 35.000 herausgebrachten 'Lustigen Blätter' verbanden politische Karikatur mit Unterhaltungssatire. Neben zahllosen politischen Themen wurden typische Aspekte des modernen, großstädtischen Lebenstils bearbeitet, der in dieser Form vor allem für die oberen Schichten möglich war. Der großstädtische 'Lebemann', die 'Frau von Welt', die 'Wohltätigkeit', die Kleptomanie und nicht zu vergessen, die Kinematographie, seien an dieser Stelle als Beispiele genannt.

Beide Publikationen und auch die 'Damen - Zeitung' - die sich Anfang März über die in ihren Augen unzeitgemässen Vorführungen im 'Apollo' aüßerte - weisen nochmals zurück auf den zeitgenössischen politischen und gesellschaftlichen Kontext, in denen die kinematographischen Bilder über Transvaal wahrgenommen wurden.

Die Pressepublikationen betonten allesamt sowohl den unterhaltenden als auch den politischen Charakter der kinematographischen Kriegsbilder. Sie griffen die Burenbegeisterung des Publikums auf, indem sie diese Filme in ihren Hinweisen auf die Programme der Varietés besonders hervorhoben und von den begeisterten Publikumsreaktionen bei der Präsentation der 'Burenbilder' berichteten.

Die Sympathie der Deutschen Öffentlichkeit in dem seit Jahrzehnten schwelenden Konflikt lag auf Seiten der Buren. Man fühlte sich den Buren die Nachfahren niederländischer Siedler waren bluts- und rasseverwandt. Alle Schichten der Gesellschaft unterstützten die Buren, wenngleich aus unterscheidlichen Motiven. Die deutsche Presse, gleich welcher politischer Couleur griff diese Stimmung auf.
1886 waren in Transvaal südlich von Johannesburg riesige Goldvorkommen entdeckt worden. Seit dieser Zeit hatte auch die Zuwanderung von deutschen Goldgräbern stetig zugenommen.

Cecil Rhodes Premierminister der Kapkolonie und der Welt größter Diamantenproduzent wollte um die Jahrhundertwende seinen Machtbereich auf ganz Afrika ausdehnen und vor allen Dingen Zugang zu den Goldminen von Johannesburg erhalten. Bereits 1896 hatte eine Privatarmee unter Führung seines besten Freundes Dr. Leander Starr Jameson versucht, Johannesburg zu erobern. Das Unternehmen scheiterte. Die britsche Regierung leugnete jedliche Beteiligung an der Aktion. Sie war aber die Adressatin für aus der ganzen Welt einlaufende Protesttelegramme. Aus Deutschland kam die berühmt-berüchtigte 'Krüger-Depesche' von Kaiser Wilhelm. Er stellte sich - zum Entsetzen seiner englischen Verwandtschaft und den politischen Führungen auf beiden Seiten - auf die Seite der Buren. Der Monarch entsprach damit zwar der öffentlichen Meinung im 'Deutschen Reich', hatte aber mit seiner Parteinahme für die Buren das ohnehin problematische deutsch-englische Verhältnis insgesamt weiter verkompliziert.
Der Monarch wurde nun aber in der Folgezeit - vor allem seit Beginn des Krieges 1899 - immer mehr zum Ziel der Kritik der öffentlichen Meinung, die sich während des gesamten Kriegsverlaufs lautstark auf die Seiten der Buren stellte.

Die Versuche der Reichsleitung unter Bülow, die sich gegenüber England neutral verhielt, die starken anglophoben Tendenzen in der deutschen Presse zu unterbinden, scheiterten.
Die zeitgenössische Burenbegeisterung ließ sich allerdings nicht nur über die Presseberichterstattung - in Wort und Bild - erkennen. So verkleideten sich zu Sylvester auf den Straßen Berlins

    "einige hoffnungsvolle Jünglinge [...] die sich mit alten Schlapphüten ausstaffiert hatten, gaben sich für echte unverfälschte Buren aus und machten einen entsetzlichen Lärm mit 'rauchlosem Pulver aus Transvaal' und 'Burenbackpfeifen'".

Die 'Freie Vereinigung für deutsche Flottenvorträge' nahm den Krieg zum Anlaß, für eine starke und maßgeblich gegen England gerichtete Flotte zu werben und lud ein zu einem "Marine- Abend" in 'Keller's Festsäle' in der Koeppenstraße 29:

    "Herr Torpedodirektor a.D. Kretzschmer wird über das Thema: "Warum muß Deutschland stark zur See sein?" unter besonderer Berücksichtigung des Trans-vaal-Krieges und Vorführen von 50 Lichtbildern sprechen."

Der Kriegs- und Siegesmarsch der Buren war ebenso auf dem Markt wie die Burenkriegs-Nebelbilder, die A. Schimmel aus Rixdorf neben den "neuesten Original-Aufnahmen" anbot.

Vor diesem gesellschaftlich-kulturellen Hintergrund gesehen erstaunen die emotionalen proburischen Reaktionen des Publikums angesichts der Transvaalbilder der Kinematographen kaum. Bemerkenswert bleibt aber, daß offensichtlich nur die Filmvorführungen derartige massive Reaktionen hervorriefen und diese Verhaltensweise zum Ausdruck brachten. Die Varietés boten bis zu 2.000 Menschen Platz (Wintergarten), und dies dürfte die Atmosphäre entsprechend angeheizt haben.

Die bekannten Berliner Varietés der Jahrhundertwende wurden somit Orte politischer Willenskundgebungen in einem halböffenlichen Raum, deren Inhalte nationalistisch und rassistisch motiviert waren. Die ausgewählte Berichterstattung über die Ovationen vor Ort band die Kinematographie dabei zunächst an die üblichen Gepflogenheiten der publizierten öffentlichen Meinung. Man stand auf Seiten der Buren. Das euphorische Publikum vor Ort - dessen Reaktionen vor dem Kinematographen in verschiedenen Städten des 'Deutschen Reichs' gleich war - gab der Presse den Anlaß, über die Ereignisse zu berichten.

Mit liegen keine Zensurfälle bezüglich der Transvaalfilme aus Berlin vor. Der mMünchner Zensurfall deutet allerdings darauf hin, daß die Behörden sich des politischen Unruhepotentials, das antigouvermental ausgerichtet war, in den großstädtischen Varietés bewußt waren.

Beim Besuch Paul Krügers nach Beendigung des Krieges im Sommer 1900 in Europa, aber vor allem beim Besuch der 'Burengeneräle' in Berlin 1902 verbanden sich anläßlich der Ereignisse des Transvaalkrieges nochmals die Politik und die Kinematographie für das Berliner Publikum.

3.2 Die Burentage in Berlin 1902

Das politische Lavieren der Reichsleitung zwischen der proburischen innenpolitschen öffentlichen Meinung und dem außenpolitischen Anliegen, sich England gegenüber neutral zu verhalten, wurde im Laufe des Krieges in Transvaal immer mehr zu einem innenpolitischen Problem.

Dies hatte sich bereits beim Besuch des Burenpräsidenten Paul Krüger im Sommer/Herbst 1900 in Europa gezeigt. Die deutsche Regierung hatte - um jeden Verdacht der offiziellen Parteinahme für Transvaal zu vermeiden - die von diesem gewünschte Schiffspassage von Südafrika nach Europa auf einem deutschen Schiff verweigert. Die burische Delegation war u.a. am 1. Dezember von 10.000 Menschen am Kölner Hauptbahnhof begeistert empfangen worden. Erst auf massiven Druck des Auswärtigen Amtes hin sah man von einer Fortsetzung der Reise nach Berlin ab. Für die Reichshauptstadt wäre eine ähnliche proburische Menschenansammlung wohl nicht nur bezüglich der Beziehungen zu England problematisch geworden. Es blieb der Reputationsverlust der Regierung, der sich mit den Englandbesuchen des Kaisers anläßlich der Todes seiner Großmutter, der Königin von England, im Januar 1901 sowie die Ordensverleihung an den 'Burenbezwinger' Lord Roberts in der Folgezeit noch verstärkten.

Der Reputationsgewinn der Reichsleitung in England war auf Grund dieser Aktionen nur von kurzer Dauer und wurde innenpolitisch natürlich scharf angegriffen. Nach den gescheiterten Bündnisgesprächen mit England zu Beginn des Jahres 1901 und der 'Granitrede' Bülows Ende des Jahres, war das Verhältnis zu England auf dem Tiefpunkt.

Als 1902 die Burengenerale Botha, de Wet und de la Rey nach Europa kamen, um Spenden für die Opfer des fast dreijährigen Krieges zu sammeln, stellte sich für die Reichsleitung dasselbe Problem wie schon bei der Reise Krügers 1900. Man verweigerte auch dieses Mal einen offiziellen Empfang in der Reichshauptstadt. Die Buren kamen dann auf Einladung des 'Alldeutschen Verbandes' nach Berlin. Der Empfang wurde zu einem großen propagandistischen Erfolg für die 'Alldeutschen'. Tausende säumten die Straßen. Die 'Alldeutschen' - die in der Burenagitation führend gewesen waren - fanden sich auch in der liberalen 'Berliner Illustrirte[n] Zeitung' bestätigt:

    "Der kurze Aufenthalt der Burengeneräle Dewet, Botha und Delaray in der Reichshauptstadt ist auch ohne offizielles Gepränge ein Ereignis ersten Ranges geworden. Mehr aber, als alle gewaltigen Ovationen wird es die drei Burengenerale gefreut haben, daß ihre Mission in Berlin einen leidlichen Erfolg gehabt hat: nahe an 300.000 Mark konnten ihnen als Ergebnis der verschiedenen Sammlungen übergeben werden, während in Frankreich nur 72.000 Francs zusammengekommen sind. Frühere Spenden eingerechnet, hat das deutsche Volk bis jetzt ungefähr eine Million zur Unterstützung der Buren hergegeben. Die Berliner Festtage müssen übrigens den drei Burengenerälen als Kriegstage angerechnet werden: auch im Felde können sie nicht viel größere körperliche Anstrengungen gemacht haben: Am Einzugs=Abend machte es den Eindruck, als ob man Dewet aus dem Wagen herausziehen wolle, so viele drängten sich heran, seine Hand zu schütteln. Im Hotel hatten die drei wackeren Kämpen natürlich kaum eine ruhige Tagesstunde. Sogar auf das flache Dach des Hotels lotste man sie hinauf, um sie für den "Wintergarten" kinematographisch aufzunehmen. General Dewet lachte herzlich über diese sonderbare Scene."

Der Kommentar der 'Berliner Illustrirten Zeitung' zeugt von dem starken gesell- schaftlichen Engagement zu Gunsten der Buren und beschreibt anschaulich die fast schon hysterische Begeisterung der Berliner Bevölkerung.
Es kann nicht genau geklärt werden, wer von den in Berlin tätigen Filmproduzenten die Aufnahmen für den Wintergarten herstellte. Möglich ist, daß es die 'American Mutoskop' - die ja auch die Transvaalfilme für den 'Wintergarten' hergestellt hatte, war. Sowohl Oskar Messter als auch S. Lubin hatten Aufnahmen der Burengeneräle im Angebot.

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