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Es ist kaum retrospektiv zu bestimmen, ob diese kaiserkritischen Stimmen die zeitgenössischen kaiserverehrenden Einstellungen aufwogen, die durch Feste wie den Kaisergeburtstag - der reichsweit am 27. Januar mit großen Umzügen in Stadt und Land begangen wurde - hergestellt wurden. Zumindest kann an dieser Stelle festgehalten werden, daß beide Einstellungen von Angehörigen auch der oberen Schichten mitgetragen wurden. Möglicherweise bestanden sie auch parallel.
Die Beschreibung der kinematographischen Vorführungen als touristisches Vergnügen konnten dabei nicht nur die potentiellen und tatsächlichen Reiseerfahrungen der Leserinnen der Damen-Zeitung in Beziehung setzen zur aktuellen Reise des deutschen Herrschers. Sie hatte auch einen realen Hintergrund in der Teilnahme zahlreicher Angehöriger der 'Berliner Gesellschaft' an der kaiserlichen Palästinafahrt.Abgesehen von den 171 offiziellen Fahrtteilnehmern aus dem In- und Ausland, zu denen die Vorstände der in Palästina anwesenden Stiftungen, Vereine und Gesellschaften ebenso wie alle deutschen evangelischen Kirchenregierungen und hohe Vertreter ausländischer protestantischer Kirchengemeinschaften gehörten - fuhren auf vier weiteren Schiffen 270 nichtoffizielle adelige und bürgerliche Teilnehmer mit ins 'Heilige Land'. Die Reise dieser Gäste war organisiert worden von den bekannten Reisebüros Carl und Hugo Stangen in Berlin, die mit vier gecharterten Schiffen den offiziellen Reisetroß begleiteten. Auf der Reise dabei war auch Georg Betz, Partner des deutschen Filmpioniers Oskar Messter, der die Filmaufnahmen bewerkstelligte und auch der Erbauer und Besitzer des Varieté Apollo, Baumeister Ziegra mit Gattin. Gut möglich ist dabei, daß der auf der Liste der inoffiziellen Fahrtteilnehmer stehende Ziegra wegen der kinematographischen Aufnahmen der Reise mit ins 'Heilige Land' gefahren war. Im 'Apollo' kamen ja die Bilder zur Aufführung. Sie hatten ihren stärksten Widerhall im Januar 1899 in der 'Damen- Zeitung'. Tageszeitungen wie die 'Berliner-Morgenpost' berichten wie üblich knapp unter der Rubrik 'Vergnügungen' von den Vorführungen:
Leider sind Filme der Palästinareise nicht mehr erhalten und auch eine Rekonstrukrion des genauerern Programmkontexts im Varieté Apollo läßt sich auf Grund der mir vorliegenden Quellen nicht vornehmen. Die Rezeption der Vorführungen in der 'Berliner Damen- Zeitung' bezeugen - wie gezeigt - die kosmographischen Vorführungen der Palästina-Reise als herausragendes Ereignis im Programm des Apollo; gebunden an die Zielgruppe einer Unterhaltungszeitschrift für Frauen der oberen Gesellschaftsschichten.
Der bekannte Berliner Photograph Ottomar Anschütz fertigte Photographien der Reise an ebenso wie die Kaiserin, die eine begeisterte Hobbyphotographin war und wie viele Angehörige der Berliner Gesellschaft von Anschütz in die Photographie eingewiesen worden war.Anschütz' Orientphotographien wurden u.a. auf der Berliner Kunstausstellung von 1899 gezeigt. Bei dieser Ausstellung, die zahlreiche Gemälde der die Fahrt begleitenden Maler präsentierte, wurden damit erstmalig Photographien in einer Schau aufgenommen, die bis dahin der sogenannten 'Hohen Kunst' vorbehalten worden war. Anschütz zeigte natürlich dem kaiserlichen Paar seine Photographien bei einer Audienz persönlich und kündigte bei dieser Gelegenheit an, die Photographien im Rahmen von Lichtbildervorträgen - die in einem der königlichen Schauspielhäuser zur Darstellung kommen sollten - für wohltätige Zwecke zur Verfügung zur stellen. Die Kaiserin gab ihre Photographien ebenfalls für einen wohltätigen Zweck her. Corinna Müller hat für Hamburg die Darstellung der Reise zudem im Kaiser-Panorama der Stadt hervorgehoben ebenso wie Varietévorführungen im 'orientalischen' Stil und die Filmvorführungen der Reise in 12 Bildern. Doch sämtliche Vorführungen fanden etliche Zeit nach der Reise statt und nicht - wie Müller annimmt - während der Fahrt. Diese dauerte vom 12. Okober bis zum 26. November 1898. Die Vorführungen im Kaiser-Panorama fanden erst ab Anfang Februar 1899 statt; die Filmvorführungen gab es Ende des Monats. Es steht zu vermuten, daß auch die anderen Aktualitätenfilme der Jahrhundertwende noch lange nach dem Ereignis, das sie in Originalbildern oder auch in nachgestellten Szenen wiedergaben , im Umlauf waren und oftmals wohl auch mit anderen medialen Umsetzungen der Ereignisse konkurrierten. Über die Gründe lassen sich an dieser Stelle lediglich Vermutungen anstellen. Bei den spektakulären Auslandsreisen des Kaisers nach Palästina und auch seines Bruders in die USA Anfang 1902 werden die Dauer der jeweils mehrwöchigen Reisen, die damit verbundenen Transportwege und die unterschiedlichen Produktionswege eine Rolle gespielt haben. Es ist nach wie vor so gut wie nichts bekannt über die Anzahl der Kopien bei diesen Filmen aus der Anfangszeit und inwieweit die Kopienweitergabe z.B. unter den großen Varietés üblich war. Das z.B. hätte den Abspielzeitraum bedeutend verlängert. Für die Kinematographie der ersten Jahre kann aber angenommen werden, daß die Filme bis zum Verschleiß abgespielt worden sind. Die Vorführungen orientierten sich demnach nicht unbedingt an Bedürfnissen der Tagesaktualität. Darauf weisen Annoncen im 'Komet' und 'Artist' hin. Hier wurde schon früh ein Handel mit gebrauchten Filmen begonnen und damit blieben auch die 'Aktualitätenfilme' recht lange im Umlauf. Normal war aber wohl bereits 1898 - und dies schien das Publikum zu erwarten - daß die Aktualitätenfilme schnell nach den Ereignisssen zur Verfügung standen.Anders ließe sich die Ungeduld mancher Zeitgenossen angesichts verspätet stattfindender kinematographischer Vorführungen der Kaiserreise nicht verstehen. In einem Bericht über das Wintergartenprogramm im Dezember 1898 hatte etwa der Kommentator abschließend enttäuscht bemängelt, daß "der Kosmograph [...] die Palästina-Bilder [immer noch nicht] auf der Platte hat". Die mir vorliegenden Schausteller - und Artistenzeitschriften 'Komet' und 'Artist' verzeichneten in ihrem Annoncenteil keine Hinweise auf einzelne Filme der Kaiserreise. Bis zum Jahr 1900 hatte es zwar in etlichen europäischen Städten Filmvorführungen in Varietés gegeben. Dies läßt sich aus den Städteberichten im 'Artist' ersehen. Die Schaustellerkinematographie war bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch recht bescheiden. Unter den ca. 520 Abonennten des 'Komet', die dem Schaustellergewerbe angehörten, waren zu Beginn des Jahres 1900 7 Kinematographenbesitzer, von denen nur 3 das Risiko eingegangen waren, den teueren Kinematographen als alleinigen Broterwerb zu haben. Die anderen vier hatten neben dem Kinematographen auch andere Geschäfte.
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