Das Vergnügen war also die Hauptsache, das gesellschafliche Ereignis dominierte den guten Zweck und die Plazierung von Angehörigen der Berliner Hofgesellschaft an exponierter Stelle bei diesen Veranstaltungen - der Adel als 'Lockmittel und Schauobjekt' - verbesserte auf jeden Fall den finanziellen - und wohl auch den ideelen - Erfolg.
Im gesellschaftlichen Treiben auf diesen Veranstaltungen hatten in den Presseberichten der illustrierten Zeitungen und der Tagespresse die an den Vorbereitungen und Durchführung beteiligten 'Damen der Gesellschaft' einen hervorragenden Platz.

    "Schon den Eintretenden umringt ein Herr von Blumen= und Tombolaloos=Verkäuferinnen, und - nun - wer da sein Herz nicht festhält, wird seine Goldstücke bald los, denn - und das bedingt eben den Erfolg - alle diese jugendlichen, schönen Erscheinungen, die uns umringen, gehören - das ist schon auf dem Programm angedeutet - der Gesellschaft an, ja wenn irgend möglich der Hofgesellschaft. Auf das mehr oder weniger Schön und Jung ist zwar im Programm kein Gewicht gelegt, aber der Kassenerfolg pflegt auch nach der Richtung einen Maßstab zu bieten."

Mag das Auge des Freiherrn auch manchmal zu lange auf der Attraktivität einiger der beteiligten Damen gelegen haben. Seine ausführlichen Beschreibungen der Tätigkeiten der auf dem Promenadenkonzert am 28. Januar 1897 anwesenden Damen der 'Gesellschaft' waren eben für diese Damen, die mit ziemlicher Sicherheit zu den Leserinnen der 'Illustrirten Frauen=Zeitung' gehörten, gedacht. Seine ausführlichen Würdigungen dienten der Selbstvergewisserung der eigenen Rolle, des eigenen Tuns auf diesen Veranstaltungen.

    "Da wird der Thee von der Frau von Schaeffler, die Pastete von Fräulein von Jagemann, der Tochter des badischen Gesandten, ein Aspic von der Baronesse Stengel, der Tochter des bayerischen Ministerial=Directors, und köstlich hergerichtetes Eis von Fräulein Bürgers empfohlen."

Im Stil der weitaus unbekümmerter formulierenden 'Berliner Damen-Zeitung' las sich die Beschreibung der bei den Festen engagierten Damen so:

    "Wie viele Tausende und Abertausende würden den Enterbten des Glücks nicht zu Gute kommen, wenn es keine wohltätigen Frauen mit heißen Blicken an kalten Buffets gebe."

Das Promenadenkonzert von dem der Freiherr berichtete war zum "Besten eines Sanatoriums für Europäer in Usambara" in den Sälen des Kaiserhofes veranstaltet worden und stand unter dem Protektorat der Kaiserin. Damit gehörte es sicherlich zu der erstklassigen Form der Wohltätigkeitsfeste und die Adressaten der 'Guten Sache' nicht zu den Ärmsten. Die Gräfin von der Groeben und die Freifrau von Mutzenbacher hatten die Vorbereitungen der Veranstaltung übernommen. Die Säle waren mit Buden und Verkaufszelten in 'afrikanischen Stil' ausgestattet worden, dazu zählten auch Menschen aus Afrika, die in typische Zelte gesetzt wurden oder die mit "Negerhänden" unter der "Oberaufsicht der Gräfin Monts und der Frau von Heydt" Eiskaffee anboten.
Das Entreé der Kaiserin, die mit ihrem Gefolge kurz vor Beginn der "Spezialitätenvorstellung" auf der Veranstaltung eintraf, war sicherlich für alle Beteiligten der gesellschaftliche Höhepunkt des Festes. Die Schilderung von Dincklages entbehrte nicht des dramatischen Höhepunktes:

    "Da plötzlich, wie durch Zauber, verstummt das lebhafte Geplauder ringsrum. Alles richtet den Blick nach dem Eingange, (...). "Die Kaiserin!" geht's leise von Mund zu Mund, und auf allen Gesichtern zeigt sich der Ausdruck von Freude und doch auch wieder der Verehrung, dem man stets, in der Gesellschaft wie im Volke, begegnet, wo auch ihre Majestät erscheint."

Für die anwesenden Damen der Gesellschaft, denen die Kaiserin an den Ausschankständen und Büffets einen kurzen Besuch abstattete, waren die anerkennenden Worte der 'Hohen Gemahlin' aber ein ganz besonderer persönlicher Erfolg. Nachdem mit Hilfe der Herren des Hofes der Kaiserin der Weg zum Hauptsaal geglückt war, begrüßte die Kaiserin dort "in den mitwirkenden Damen zum Teil Bekannte, während andere vorgestellt wurden." Dazu zählten natürlich auch die beiden Organisatorinnen des Festes, die vor dem "Theezelte im Hauptsaal" sich über den Erfolg der Veranstaltung äußerten, während die Frau von Wedel und die Frau Gräfin Hohenthal die Kaiserin in 'ihr' Zelt baten. Nicht selten war zudem bei den dann zum 'cercle' aufgestellten Damen "ein Erröthen" zu sehen, wenn sie vielleicht zum ersten Mal "den tiefen Knix (...) vor der Herrscherin machen durfte[n]."

Auch hier dienten die in allen Einzelheiten beschriebenen Aktivitäten und die andauernde Nennung der Namen und Titel der Anwesenden der Selbstvergewisserung der Beteiligten, der Gesellschaft eben, die sich in dem Pressebericht wiederfand. Die beschriebene Nähe zur 'Kaiserin' steigerte dabei den persönlichen Wert, aber auch den Wert des gesellschaftlichen Ambientes, also 'der Gesellschaft' in der diese Begegnung stattfand.

Die weiteren Ausführungen des Freiherrn boten darüberhinaus ein eindrucksvolles Bild der während des Konzerts in Gang gekommenen gesellschaftlichen Kommunikation. Sie öffnete den Blick auf die Vergnügungskultur der Berliner 'Upper Class' der Jahrhundertwende, die - meines Wissens nach - bis heute in dieser Präzision nicht beschrieben worden. Auch in Berichten anderer von mir gesichteter Zeitschriften und Zeitungen fanden sich ähnliche Beschreibungen des 'geselligen Treibens ' auf den Veranstaltungen. Die Darstellung des Freiherrn von Dincklage, auf die ich mich in diesem ersten Teil konzentriere, hat also erst einmal exemplarischen Charakter. Da er aber - als einziger - mit der Kaiserin aufwarten konnte, bleibt sein Bericht, auch in dem oben beschriebenen 'höfischen' Begrüßungsritual etwas besonderes.

    "Die Säle haben sich gefüllt. Uniformen aller Regimenter mischen sich unter die Damen in eleganter Promenaden=Toilette. Sammet und dunkle, schwere Stoffe herrschen vor, doch auch viele, helle Stoffe sind vertreten,- es soll ja nachher ein Tanz improvisiert werden. Längst hat die Kapelle des Alexander=Regiments begonnen, die heiteren Weisen ertönen zu lassen. Das Summen der gesprächigen Menge, die Rufe der Verkäufer, die Aufforderungen der lustigen Clowns, in denen die Lieutenants von Lekow und von Kriegsheim erkannt werden, zu einer Knochenaufnahme im Röntgenstrahlen=Cabinet, das Ausbieten der Billets zum Specialitäten=Theater, und aus den Nebenräumen das Brüllen eines Löwen aus dem "condensirten zoologischen Garten des Mannes mit den Drahtnerven."

Die 'Gesellschaft' zeigte sich also auch auf der Höhe der technischen und wissenschaftlichen Entwicklungen der Zeit. Die ein Jahr vorher entdeckten Röntgenstrahlen waren dabei nicht nur eine 'wissenschaftliche' Sensation gewesen. In den zahllosen Buden und Zelten der Wanderschausteller und in den städtischen Varietés in Deutschland waren sie auch eine der großen Publikumsattraktionen der Jahrhundertwende In der Röntgenbude auf dem Promenadenkonzert der 'Guten Gesellschaft' konnten sich die Anwesenden anscheinend selbst eine 'Röntgenaufnahme' ihrer Knochen herstellen lassen. In den Vergnügungen der 'Guten Gesellschaft' fanden sich aber auch Elemente der allgemein bekannten Vergnügungen der Zeit wieder, die "Clowns", oder der "Mann mit den Drahtnerven". Dazu zählte vor allem auch das auf dem Promenadenkonzert und vielen anderen Veranstaltungen der Zeit eingerichtete 'Spezialitätentheater', das Programm und Ablauf eines Nummernprogramms der zeitgenössischen Varietés imitierte bzw. variierte.

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