2. Nationalistische Vergnügungen - Der Deutsche Flottenverein

Publikumswirksame Veranstaltungen, die die Kinematographie in ihrem Unterhaltungsprogramm präsentierten, gab es im Berlin der Jahrhundertwende durch die Veranstaltungen des 'Deutschen Flottenvereins', der zunehmend in der Massenpresse von sich reden machte.

Der 'Deutsche Flottenverein' war im Kontext der wilhelmischen Flottenpolitik der 'Ära Tirpitz' gegründet worden. Der Anspruch des 'Deutschen Kaiserreichs' im Reigen der imperialistischen Mächte der Zeit seinen 'Platz an der Sonne' zu erlangen - und hierfür war eine starke Flotte unabdingbar - hatte schon seit dem Amtsantritt Kaiser Wilhelm II 1888 zu verstärkten Anstrengungen im Flottenbau geführt. Mit dem Amtsantritt des Admiral Alfred von Tirpitz 1897, - ein Jahr nachdem der Eintritt in die 'Weltpolitk' von Wilhelm II verkündet worden war - zum Staatssekretär im Reichsmarineamt, begann jedoch erst der planmässige und langfristig angelegte Ausbau der Deutschen Flotte.

Wichtig für den hier angesprochenen Kontext ist die Gründung des 'Deutschen Flottenvereins' 1898 durch bedeutende Industrielle des Kaiserreichs auf dem gesellschaftpolitischen Hintergrund des 'Neuen Kurs' und der allgemeinen 'Marinekultur' um die Jahrhundertwende.

Der Deutsche Flottenverein entfaltete um die Jahrhundertwende eine vielfältige Propaganda' zugunsten einer starken Flotte und - damit verbunden - einer führenden Position des Kaiserreichs in der Welt. Mögen auch die Gründer und maßgeblichen Mitglieder zunächst den gehobenen Schichten angehört haben, so erreichte der Verein doch 'Massenwirkung' . Dabei gebärdete er sich weitaus nationalistischer als die immerhin diplomatisch Rücksicht nehmend müssende Politik der Reichsregierung, und die Zusammenarbeit der beiden Stellen verlief daher oftmals problematisch.

Das Aufgreifen der modischen Sitte der Wohltätigkeitsfeste durch den Flottenverein in Berlin zeugt zum einen von der gesellschaftlichen Herkunft der Organisatoren, zum anderen aber auch vom geschickten Aufgreifen zeitgenössischer populärer Unterhaltungsformen zum Zwecke der politischen Propaganda. Im April 1900 setzte in Berlin die Gründung zahlreicher Bezirksausschüsse des Deutschen Flottenvereins ein, welche die Aufgabe hatten "in den Bezirken (...) die Agitation zu Gunsten einer machtvollen deutschen Flotte in die weitesten Kreise zu tragen." Damit war auch in der Reichshauptstadt die 'Flottenbewegung' auf dem Weg zur Massenbewegung.

Im Sommer 1900 konzentrierte der Verein seine Aktivitäten auf den Krieg in Asien. Dazu gehörte etwa der, in der Presse verbreitete, Aufruf zur 'China-Spende'. Im September des Jahres hatte der 'Deutsche Flottenverein' mit seinem Wohltätigkeitsfest zu Gunsten der 'Chinakrieger' , das im Zoologischen Garten veranstaltet wurde, einen publiumswirksamen Erfolg. Für die Veranstaltung war nicht nur in der Presse geworben worden, sondern auch durch Plakate in den Geschäften, die als Vorverkaufsstellen für die Eintrittskarten ebenso fungierten wie der Sitz des Hauptausschuß für Berlin und die Mark Brandenburg in der Luisenstraße 31. Der Eintrittspreis betrug 1 Mark und wurde als Spende für die 'Chinakrieger' abgeführt. Dies war ein relativ günstiger Eintrittspreis, der es auch einer größeren Klientel ermöglichte, an einer Wohltätigkeitsveranstaltung teilzunehmen und dabei selbst 'wohltätig' zu sein. Das Fest war gut besucht.

    "Das Wohltätigkeitsfest zum Besten der China - Krieger, das der deutsche Flottenverein gestern im Zoologischen Garten veranstaltete", so das 'Berliner Fremdenblatt' am 20.September, "hat jedenfalls den Absichten seiner rührigen Veranstalter voll und ganz entsprochen. Schon in den frühen Abendstunden waren alle Plätze in der Nähe des Hauptrestaurants und der Seen besetzt, in den Alleen des auf das Reichste mit Fahnen geschmückten Gartens wogte eine ungeheure Menschenmenge."

Mit mit Ort der Veranstaltung hatte sich der Flottenverein zudem eines der beliebtesten Berliner Ausflugsziele der Jahrhundertwende ausgesucht. Anders als die von den der 'Guten Gesellschaft' bevorzugten Veranstaltungsorte bei 'Kroll' und den 'Kaisersälen' (Kap.3 dieser Arbeit) gab er sich somit auch in der Wahl seiner Veranstaltungsorte populär. Da zudem ein Großteil der Veranstaltung im Freien stattfand, wird sie ihre Wirkung auf zufällig vorbeikommende Besucher ebenfalls nicht verfehlt haben.

Das den Besuchern dargebotene Programm und die für den 'Guten Zweck' angeboteten Waren ähnelten der Form nach den auf anderen Wohltätigkeitsveranstaltungen gebotenen Vergnügungen (siehe nächsten Abschnitt). Es lassen sich aber markante Unterschiede festmachen, die den politisch/propagandistischen Charakter der Veranstaltung verdeutlichen können. Ich gehe davon aus, daß der Artikel im 'Berliner Fremdenblatt' eine freundliche Position gegenüber den Betrebungen der Vereins ausdrückte.

Zunächst einmal entbehrte die Veranstaltung der aktiven Teilnahme der 'Damen' schon in der Vorbereitungsphase. Ein "aus fünfzehn Herren bestehender Festausschuß'' hatte die Vorbereitungen übernommen. Daß hiermit vor allem das leibliche Wohl der Anwesenden ins Hintertreffen geriet, mag die Nutzung der Konditorei auf dem Ausstellungsterrain für eine Marineausstellung versinnbildlichen. Hier waren eine Anzahl von Schiffsmodellen, die das Reichmarineamt zur Verfügung gestellt hatte, ausgestellt.
Die weiteren "Genüsse und Überraschungen" die der Festausschuß den Besuchern bot, waren ebenso entschieden anderer Art als die bei den Wohltätigkeitsfesten der 'Guten Gesellschaft'. "Nicht weniger als sechs Militärkapellen ließen ihre Weisen ertönen, im Muschel-Orchester trug der Berliner Lehrer Gesangsverein unter Leitung seines Chormeisters Professor Felix Schmidt eine Reihe mehrstimmiger Gesänge in entzückender Vollendung vor."
Die Besucher der Veranstaltung gaben sich sogar in ihrem Konsum patriotisch, zumindest betonte das der Bericht im Berliner Fremdenblatt. In den für den 'Guten Zweck aufgebauten Verkaufszelten, die "von weitem wie mächtige Schiffskolosse ausschauten, wurden fleißig die Erzeugnisse hervorragender Marinemaler verlangt."

Das Bindeglied zwischen dem sich patriotisch gebenden Wohltäigkeitsfest des 'Deutschen Flottenvereins' und denen der 'Guten Gesellschaft' waren die auf den unterschiedlichsten Veranstaltungen vorgeführten kinematographischen Aufnahmen. Sowohl das Fest zugunsten der 'China-Krieger', als auch das Winterfest 1904 brachten im Kontext ihres Vergnügungsprogramms die Kinematographie.

So gab die Vorankündigung zur Veranstaltung der bereits besprochenen Veranstaltung des Flottenvereins im Zoologischen Garten nicht nur die Hinweise auf Eintrittspreise und Vorverkaufsstellen. Die Programmplanung der Veranstaltung las sich für das interessierte potentielle Publikum folgendermaßen:

    "Außer dem Monstre Concert von sechs Kapellen findet Abends ein Zapfenstreich und Schlachtenmusik sowie bengalische Beleuchtung der Seeufer statt. Der Garten selbst ist dem Fest entsprechend reich ausgeschmückt. - Wir weisen besonders auf die Marineausstellung hin, in welcher auch das Modell des 'Iltis', sowie Modelle desselben nach dem Kampf ausgestellt sind. Außerdem findet eine Tombola statt, sowie eine Vorführung von kinematographischen Darstellungen von Beginn der Dunkelheit im großen Saale statt."

Die möglichen Besucher dieser Veranstaltung erwartete also nicht ein Bühnennummernprogramm, bei dem die Kinematographie im Programmablauf einer von vielen Programmpunkten im einem zügigen Nummernwechsel war. Das Programm erstreckte sich über die Dauer mehrerer Stunden vom Nachmittag angefangen, bis nach Einbruch der Dunkelheit. Im großen Saal des Veranstaltungsortes hatte die Kinematographie einen alleinigen Platz im thematischen Ensemble der anderen Programmpunkte. Nach Einbruch der Dunkelheit, als das bengalische Feuer die Szenerie beleuchtete und nach Beendigung des Zapfenstreich und der Schlachtenmusik, hatten die 'Lebenden Photographien' ihren Auftritt im 'Großen Saal'. Daß sie mit den 'Marinebildern' der Firmen 'Messter' und der 'Deutschen Mutoskop und Biograph Gesellschaft' sich dem Thema der Veranstaltung anpaßten, habe ich oben bereits erwähnt.
Ihre besondere Erwähnung im Bericht nach Beendigung der Veranstaltung unterstrich dabei ihre Bedeutung im Rahmen der Veranstaltung. Die - wie auch immer empfundene - festliche, musikalische/militärisch Einstimmung auf dem Ausstellungsgelände unterstützte dies zusätzlich. Möglicherweise war die Beschränkung der technischen Möglichkeiten der kinematographischen Apparate ein Grund für die Verlegung in die Abendstunden gewesen. Dies tat allerdings der als herausgehoben empfundenen Aufführungssituation der Kinematographie auf dieser Veranstaltung wohl keinen Abbruch.

Das ebenfalls bereits erwähnte Winterfest 1904 sah die kinematographischen Vorführungen in kleinerem Maßstab, nämlich in den Festsälen der Brauerei Königstadt, die der Bezirksauschuß Nord des Vereins für sein Winterwohltätigkeitsfest belegt hatte. Adressat der 'Guten Sache' war wohl der Flottenverein selber.

Hier fanden sich, so die mir vorliegende Vorankündigung des 'Berliner Lokal-Anzeiger' vom 10. Januar 1904, die 'lebenden Photographien' zwischen Ansprachen bzw. Vorträgen der "Herren Geheimer Regierungsrat Hinz und Oberleutnant Röper (...)" sowie dem wohl unausweichlichen Militärkonzert; vorgetragen von der Kapelle des 5. Garde=Regiments. Dies, und möglicherweise noch einige, in der Vorankündigung nicht erwähnten "Darbietungen" sollten mit einem Tanzkränzchen zum Abschluß gebracht werden und damit auch die Damen zur Propagandaveranstaltung gelockt werden. Mit der Betonung des günstigen Eintrittspreise versuchte die Vorankündigung die geneigten Leser zu dieser Veranstaltung zu ziehen. "Trotz der Fülle und Gediegenheit der Darbietungen und des nach Schluß der Veranstaltung stattfindenden Tanzkränzchen ist der Eintritt auf nur 50Pf, im Vorverkauf 30Pf festgesetzt." Die kinematographischen Vorführungen wurden hier nicht näher erläutert.

Festhalten möchte ich an dieser Stelle aber die verschiedenartigen Aufführungskontexte in denen die Kinematographie im Rahmen der Wohltätigkeitsfeste des Flottenvereins der Jahrhundertwende ihren Platz hatte. Nicht nur die einzelnen Programmpunkte, wie die Ausstellung oder die Militärmusik und wohl auch propagandistische Vorträge sind dabei erwähnenswert, sondern auch die Veranstaltungsorte, die von einem zentralen Berliner Vergnügungs - und Ausflugslokal wie dem 'Zoologischen Garten' bis zu der Brauerei 'um die Ecke' reichten.

Zurück