Seit der erstmaligen Vorführung des Biophon gab es zudem - zumindest zeitweise - sowohl kosmographische, als auch Biophonvorführungen:

    "Messter's Kosmograph bringt zwei hübsche Aufnahmen und Messter's Biophon zeigt einige Piecen, von denen der Fehrbelliner Reitermarch mit Fanfaren, gespielt von der Kapelle des Alexander-Regiments und der Amerikanische Straßensänger (Bowery Boy) sehr hübsch aussehen. Die vortreffliche Steidl'sche Scene auf der Radrennbahn ist natürlich wie immer der Hauptschlager des Biophons."

Der beliebte Sänger Steidl trat aber auch live in Verbindung mit dem Kosmographen auf.

    "Als ein Ereignis kann man das Wiederauftreten Robert Steidls ansehen, welcher einen Vortrag in Verbindung mit dem Kosmograph brachte. Diese wirklich originelle Idee war sehr erheiternd und der Kosmograph verriet mit der Umkleideszene als Spanierin alle Interna der Theatergardarobe. Die neuesten Wunder der drahtlosen Telegraphie führte Kapitän Bloom, an der Hand eines kleinen Vortrages, verbunden mit elektrischen Demonstrationen dar."

Die im Mittelpunkt meiner Darstellung stehenden großen Varietés konnten sich trotz wachsender Konkurrenz durch das neu renovierte 'Passage Theater' als herausragende Berliner Unterhaltungsangebote um 1900 behaupten.
Die Einbindung der Kinematographie in die bereits bestehenen Unterhaltungsangebote der Reichshauptstadt soll nachfolgend auch für einige andere Vergnügungstätten kurz dargestellt werden. Ihre Publikumsstruktur unterschied sich von der in den großen Varietés und die Kinematographie der Jahrhundertwende als Massenmedium im besten Sinne (C. Müller) kann hiermit für Berlin quellenmässig erstmals genauer beschrieben werden.

Bereits 1897 hatte das gut besuchte Reichshallen -Theater, das sich bis dahin offensichtlich mit einem "decenten Familienprogramm" einen Namen gemacht hatte, den Kinematographen im Programm:

    "Die lebenden Photographien fehlen nicht, und sind auch im Theater der Reichshallen, gleich wie in den großen anderen Varietés, ein unerlässliches Moment des Repertoires geworden."

In den 'Reichshallen', in der Leipzigerstr. 77 und damit ebenso wie der 'Wintergarten' und das 'Apollo' im Vergnügungsviertel Berlins gelegen, gab es wie in diesen auch das obligatorische Nummernprogramm und auch hier waren die Filmvorführungen Bestandteil eines aus komischen und artistischen Nummern bestehenden Programms:

    "Ganz besonders reich ist das komische Element reich vertreten, durch die komischen Parodisten Les Cadrois, die lustigen Excentriques Les Gaetano-Olloms, das ausgezeichnete Theatre amusant von Wienecke, den Original- Humoristen Bacchus Jacoby und nicht zum letzten durch Melanie Roberti, den Kobold, der mit seinem Humor zündend wirkt. Auch Schaunummern ersten Genres sind im Programm zahlreich vertreten. Miss Albertina mit ihren Evolutionen am hohen Luft-Apparat, die brilliante Max Franklin-Troupe als einzig darstehende Trampolin-Akrobaten mit vortrefflichen Saltos und Schultersaltos, das Renrad-Trio, und Andere. Den heiteren Gesang vertritt Hedi Perrier, eine schmucke Costüm-Soubrette, und der spanische Musik-Virtuose Don Ricardo."

Das Possen-Theater der Brüder Herrnfeld bot seinen Besuchern neben den beliebten Einaktern ebenfalls ein Spezilitätenprogramm, in dem die filmische Nummer ebenfalls nicht fehlte. So annocierten die Herrnfelds 1902 im Berliner-Lokal-Anzeiger neben dem 'Fall Blumentopf' und 'Endlich Allein' im "Künstler-Theil" die 'lebende[n] Photographien' neben Hermanas Moreno, Titl Buscani und dem urkomischem Bendix.
Das 1902 ins Leben gerufene Charivari-Theater, das "anscheinend noch nicht recht weiss, ob es Überbrettl, bloss Brettl oder Varieté sein will", hatte die Kinematographie auf dem Programm. Nach anfänglichen Schwierigkeiten mit den angeboteten Nummern, bei dem die Gesangsnummern dominiert und nicht den erhofften Erfolg gebracht hatten, engagierte man neue Kräfte und setzte zunächst offenbar den Messterschen Kosmographen ein, um mit einer weiteren Orientierung zu einem Varietéprogramm den "Mutoscop-Aufnahmen von Jules Greenbaum" den Vorzug zu geben.
Als letztes seien in dieser kurzen Zusammenstellung die Aktivitäten der Königsstädtischen Brauerei und die Filmvorführungen in der 'Neuen Welt' in der Hasenheide genannt. In der Brauerei gab es Freitagsabends sogenannte Familienabende, bei denen die 'lebenden Photographien' im Anschluß an ein Militärkonzert gezeigt wurden. In der 'Neuen Welt' gab es die kinematographischen Vorführungen neben einem großen künstlerischen Programm und der Vorstellung des Trompetercorps des 2. Garde Dragoner Regiments.

Ich habe bereits darauf hingewiesen, daß vor allen die großen, internationalen Varietés ihre Programme regelmässig bewarben. Das bedeutet jedoch nicht zwingend, daß die nur lediglich annoncierten Veranstaltungen auch nur sporadisch stattfanden. Die Königsbrauerei am Schönhauser Tor wird vermutlich ihr Publikum aus der Einwohnerschaft des umgebenden Stadtviertels erhalten haben. Die alt eingesessenen und vor hauptsächlich auf ein einheimisches Publikum zugeschnittenen Vergnügungsorte wie auch die 'Neue Welt' in der Hasenheide konnte sich offenbar auf seinen Ruf als beliebter Vergnügungsort für die breite Masse der Berliner Bevölkerung verlassen.

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